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Gebannt - Unter Fremdem Himmel

Gebannt - Unter Fremdem Himmel

Titel: Gebannt - Unter Fremdem Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Rossi
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Veränderungen in Gang setzen. Die Risiken eingehen, die sein Bruder mied. Der Stamm konnte nicht viel länger hier ausharren. Die Tatsache, dass jagdbare Tiere immer seltener und die Ätherstürme mit jedem Winter schlimmer wurden, machte das auf Dauer unmöglich. Gerüchten zufolge gab es irgendwo sichere Gebiete mit ruhigem, blauem Himmel, doch Perry hatte da seine Zweifel. Eines wusste er dagegen genau: Die Tiden brauchten einen Kriegsherrn, der handelte – doch sein Bruder wollte nichts davon hören.
    Perry schaute auf seine abgetragenen Lederstiefel. Hier stand er nun. Reglos auf der Stelle. Nicht besser als Vale. Kopfschüttelnd fluchte er leise und warf seinen Umhängebeutel auf den Dachboden. Dann zog er die Stiefel aus, kletterte hinauf, legte sich hin und starrte die Sparren an. Es war dumm, Luftschlösser zu bauen und von etwas zu träumen, das nie eintreffen würde. Bevor es dazu kam, würde er lieber fortgehen.
    Er hatte noch nicht ganz die Augen geschlossen, als er eine Tür quietschen und dann die Leiter knarren hörte. Talon, ein kleiner, dunkler Schemen, schwang sich über die oberste Sprosse, krabbelte unter die Decke und blieb dort reglos wie ein Stein liegen. Perry kletterte über Talon hinweg auf die Seite, wo die Leiter stand. Der Dachboden war ziemlich schmal, und er wollte nicht, dass sein Neffe im Schlaf hinabstürzte.
    »Wieso bewegst du dich eigentlich bei der Jagd nie so schnell?«, neckte er ihn.
    Nichts. Nicht einmal eine leise Bewegung unter der Decke. Talon war nach dem Tod seiner Mutter häufig in lang anhaltendes Schweigen verfallen, allerdings nie Perry gegenüber. Aber sein jetziges Schweigen überraschte Perry nicht – er brauchte nur an das zurückzudenken, was vor vier Tagen geschehen war: Er hatte einen Fehler gemacht. In letzter Zeit hatte er zu viele Fehler gemacht.
    »Vermutlich willst du nicht wissen, was ich dir mitgebracht habe.«
    Doch Talon ließ sich nicht ködern.
    »Echt schade«, sagte Perry nach einer Weile. »Es hätte dir bestimmt gefallen.«
    »Ich weiß schon«, krähte der Siebenjährige mit stolzgeschwellter Brust. »Eine Muschel!«
    »Nein, keine Muschel, aber nicht schlecht geraten: Ich war tatsächlich schwimmen.« Bevor er nach Hause zurückgekehrt war, hatte er eine Stunde damit verbracht, sich mit Sand die Gerüche von Haut und Haaren zu schrubben. Ihm blieb keine andere Wahl, da sein Bruder sonst schon nach dem ersten Atemzug gewusst hätte, wo er gewesen war. Vale hatte strenge Regeln aufgestellt, die es untersagten, in der Nähe von Siedlern umherzustreifen.
    »Warum versteckst du dich, Talon? Komm lieber raus.« Mit einem Ruck zog Perry die Decke zurück. Talons Geruch schlug ihm als übel riechende Wolke entgegen. Bestürzt zuckte er zurück, ballte die Hände zu Fäusten und hielt den Atem an. Talons Geruch erinnerte zu stark an den seiner Mutter, als die Krankheit vollends ausgebrochen war. Gern hätte er sich eingeredet, dass er sich geirrt hatte und dass Talon gesund war und noch ein Jahr länger leben würde. Doch Gerüche trogen nie.
    Die Leute glaubten, dass ein Witterer besondere Macht besäße – denn es war eine seltene Gabe, mit einem besonders ausgeprägten Sinn auf die Welt zu kommen. Doch selbst unter diesen Sinnesträgern stellte Perry eine Ausnahme dar, da er gleich zwei extreme Sinne besaß. Als Seher gab er einen begnadeten Bogenschützen ab. Doch nur Witterer mit einem solch feinen Geruchssinn wie dem von Perry konnten beim Einatmen Verzweiflung oder Angst wahrnehmen – sehr nützlich, wenn es um einen Feind ging, aber in der eigenen Familie eher Fluch als Segen. Milas Siechtum war schrecklich gewesen, doch bei Talon hatte Perry seine Nase für das, was sie ihm verriet, regelrecht hassen gelernt.
    Nun zwang er sich, seinen Neffen anzuschauen. Der flackernde Schein des Herdfeuers spiegelte sich auf den Balken, und sein orangefarbener Schimmer unterstrich die Rundung von Talons Wangen, erhellte die Spitzen seiner Wimpern. Perry schaute seinen todgeweihten Neffen an und wusste nicht, was er sagen sollte. Im Grunde brauchte er auch nichts zu sagen, denn Talon wusste bereits alles, was er fühlte. Und Talon wusste, dass Perry sofort mit ihm getauscht hätte, wenn das möglich gewesen wäre.
    »Ich weiß, es wird immer schlimmer«, bestätigte Talon. »Meine Beine sind manchmal taub … Und manchmal kann ich nicht mehr so gut riechen, aber es tut nicht sehr weh.« Er wandte sein Gesicht ab. »Ich wusste, dass du böse werden

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