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Gebannt - Unter Fremdem Himmel

Gebannt - Unter Fremdem Himmel

Titel: Gebannt - Unter Fremdem Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Rossi
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würdest.«
    »Nein, Talon, ich bin nicht … Ich bin doch nicht auf dich böse.« Perry holte tief Luft, um das beklemmende Gefühl in seiner Brust zu unterdrücken. Seine Wut vermischte sich mit dem Schuldgefühl seines Neffen, was es schwierig machte, ­einen klaren Gedanken zu fassen. Er wusste, was Liebe war. Er liebte seine Schwester Liv, er hatte Mila geliebt, und er erinnerte sich daran, dass er bis vor knapp einem Jahr auch für Vale Liebe empfunden hatte. Doch bei Talon war Liebe nur ein Teil des Ganzen. Das Leid seines Neffen traf Perry bis ins Mark. Seine Ängste ließen auch ihn unruhig werden, während jede Freude, die Talon verspürte, auch ihn beflügelte. Es hatte nicht lange gedauert, da waren Talons Bedürfnisse zu seinen eigenen Bedürfnissen geworden.
    Unter Witterern wurde das als »Hingabe« bezeichnet. Diese Bindung hatte Perry das Leben seit Talons Geburt einfach gemacht: Das Wohlbefinden seines Neffen stand immer an erster Stelle. Im Verlauf der letzten sieben Jahre hatte das eine Menge fröhlicher Balgereien und Spaß bedeutet: Er hatte Talon zuerst das Laufen und dann das Schwimmen beigebracht. Ihn dann gelehrt, Wild aufzuspüren, mit dem Bogen zu schießen und seine erlegte Beute auszunehmen. Und das alles war völlig mühelos gewesen, denn Talon liebte alles, was Perry tat. Doch seit dem Ausbruch von Milas Krankheit war es nicht mehr so einfach gewesen. Er konnte weder zu Talons Gesundheit noch zu seinem Glück beitragen. Aber er wusste, dass allein schon seine Anwesenheit Talon sehr half. Das Versprechen, so lange zu bleiben, wie er nur konnte.
    »Was ist es denn?«, fragte Talon nun.
    »Was ist was ?«
    »Na, das, was du mir mitgebracht hast.«
    »Ach, das.« Der Apfel. Gern hätte er Talon davon erzählt, doch im Stamm gab es Horcher, deren Gehör so scharf war wie sein Geruchssinn. Nicht zu vergessen Vale, der ein noch größeres Problem darstellte. Perry konnte nicht riskieren, dass Vale den Apfel roch. Mit dem Winter vor der Tür war der gesamte Handel für das Jahr abgeschlossen. Also würde Vale Fragen stellen, woher Perry den Apfel hatte. Er konnte jetzt nicht noch mehr Ärger mit seinem Bruder brauchen.
    »Das muss bis morgen warten.« Er würde Talon den Apfel ein paar Meilen vom Dorf entfernt geben müssen. Bis dahin blieb die Frucht in ein Stück alte Kunststofffolie gewickelt, zusammen mit der Augenklappe des Siedlungsmädchens in den Tiefen seines Umhängebeutels vergraben.
    »Ist es gut?«
    Perry verschränkte die Arme hinter dem Kopf. »Na, komm schon, Tal. Ich kann nicht glauben, dass du mich das fragst.«
    Talon unterdrückte ein Kichern. »Du riechst wie verschwitzter Seetang, Onkel Perry.«
    »Verschwitzter Seetang?«
    »Ja. Das Zeug, das ein paar Tage auf den Felsen gelegen hat.«
    Perry lachte und stupste ihn in die Rippen. »Danke, Quieks.«
    Talon knuffte ihn zurück. »Bitte, Quaks.«
    Sie blieben ein paar Minuten liegen und atmeten gemeinsam in der Stille. Durch einen Spalt zwischen den Balken konnte Perry einen schmalen Ausschnitt des Äthers sehen, der am Himmel wirbelte. An ruhigen Tagen erinnerte der Anblick der wirbelnden und walzenden Wogen an die Unterseite von Wellen. Zu anderen Zeiten floss der Äther dagegen wie tückische Stromschnellen, wild und in einem funkelnden Blau. Feuer und Wasser, vereinigt am Himmel. Zwar galt der Winter als die Jahreszeit für Ätherstürme, doch in den letzten Jahren setzten die Stürme immer früher ein und dauerten länger an. Bereits jetzt waren einige über sie hinweggefegt, und der letzte hatte beinahe die gesamte Schafherde des Stammes ausgelöscht, da die Tiere zu weit vom Dorf entfernt gewesen waren und nicht mehr rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden konnten. Vale sprach allerdings nur von einer »vorübergehenden Phase« und meinte, die Stürme würden bald nachlassen. Aber Perry war ganz anderer Meinung.
    Talon bewegte sich nun neben ihm. Perry wusste, dass er nicht schlief. Die Stimmung seines Neffen war inzwischen düster und niedergeschlagen und legte sich wie eine eisige Faust um Perrys Herz. Seine Kehle war rau und brannte, und er musste schlucken. »Was ist los, Talon?«
    »Ich dachte, du wärst fortgegangen. Ich dachte, nach dem, was mit meinem Dad passiert ist, hättet ihr euch für immer zerstritten.«
    Perry ließ langsam den angehaltenen Atem entweichen. Vier Nächte zuvor hatten Vale und er unten am Tisch gesessen und eine Flasche kreisen lassen. Zum ersten Mal seit Monaten hatten sie als

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