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Gebannt - Unter Fremdem Himmel

Gebannt - Unter Fremdem Himmel

Titel: Gebannt - Unter Fremdem Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Rossi
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geschnappt hatte, während er den Maulwürfen hinterhergeschlichen war. Er hielt sich den Apfel unter die Nase und sog den süßen Duft ein, wobei sein Mund sich mit Speichel füllte. Es war ein dummes Geschenk. Nicht einmal der Grund, warum er eingebrochen war. Und nicht annähernd genug.

Peregrine   | Kapitel Vier
    Gegen Mitternacht, vier Tage nach seinem Aufbruch, gelangte Perry wieder zu den Tiden. Auf der großen Lichtung blieb er stehen und sog den salzigen Geruch seiner Heimat auf. Das Meer lag eine gute halbe Stunde in Richtung Westen, doch die Fischer brachten den Geruch ihrer Zunft überall mit hin. Perry strich sich mit der Hand über das Haar, das noch immer nass vom Schwimmen war. Heute Abend roch er selbst ein wenig wie ein Fischer.
    Mit einem Ruck seiner Schulter verlagerte er Bogen und Köcher auf seinem Rücken. Da er keine Beute bei sich trug, bestand kein Grund, seinen üblichen Weg zum Koch- und Backhaus einzuschlagen. Also blieb er an Ort und Stelle und warf einen erneuten Blick auf seine Umgebung, die ihm so vertraut war: Geduckte Häuser, aus Stein erbaut und vom Zahn der Zeit abgeschliffen. Hölzerne Türen und Läden, von Salzluft und ­Regen angenagt. So verwittert das Dorf auch sein mochte, wirkte es doch robust. Wie eine knorrige, überirdisch wachsende Baumwurzel.
    So wie jetzt, mitten in der Nacht, mochte er das Dorf am liebsten. Da der Winter vor der Tür stand und die Nahrung knapp wurde, hatte Perry sich mittlerweile daran gewöhnt, dass tagsüber besorgte Stimmungen in der Luft hingen. Doch nach Einbruch der Dunkelheit lichtete sich die Wolke menschlicher Gefühle und machte ruhigeren Gerüchen Platz: Die abkühlende Erde, die sich wie eine Blume öffnete und dem Himmel entgegenstreckte. Der Moschusgeruch nachtaktiver Tiere, der deutliche Pfade bildete, denen er mühelos folgen konnte.
    Sogar seine Augen bevorzugten diese Tageszeit – die Konturen waren schärfer, Bewegungen leichter zu verfolgen. Aufgrund seiner Nase und seiner Augen war er wohl für die Nacht geschaffen.
    Er holte noch einmal tief Luft, wappnete sich und betrat dann das Haus seines Bruders. Sein Blick schweifte über den Holztisch und die beiden zerschlissenen, ledernen Sitze vor der Feuerstelle und wanderte dann hinauf zum Dachboden, der dicht unter den Dachbalken lag. Als er sah, dass die Tür, die zum einzigen Schlafzimmer führte, geschlossen war, entspannte er sich. Vale war nicht mehr wach. Sein Bruder hatte sich wahrscheinlich mit Talon, seinem Sohn, zum Schlafen zurückgezogen.
    Perry trat an den Tisch und atmete langsam ein. Kummer hing dick und schwer in der Luft, seltsam deplatziert in dem farbenfrohen Raum, und sammelte sich an den Rändern seines Sichtfelds wie ein trostloser, grauer Nebel. Als Nächstes nahm Perry den Rauch eines verlöschenden Feuers wahr und den scharfen Geruch von Luster aus dem Tonkrug, der auf dem Holztisch stand. Ein Monat war vergangen, seit Mila, die Frau seines Bruders, gestorben war. Inzwischen war ihr Geruch verblasst, fast verschwunden.
    Mit dem Finger tippte Perry kurz gegen den Rand des blauen Krugs. Er hatte zugeschaut, wie Mila den Griff im vergangenen Frühjahr mit gelben Blumen dekoriert hatte. Milas Spuren waren allgegenwärtig. In den Tellern und Schüsseln, die sie getöpfert hatte. In den Teppichen, die sie gewebt hatte, und den Glasgefäßen voller Perlen, die sie bemalt hatte. Sie war eine Seherin gewesen, mit einer ungewöhnlichen seherischen Fähigkeit begabt. Wie die meisten Seher hatte Mila großen Wert auf schöne Dinge gelegt. Auf ihrem Sterbebett, als ihre Hände nicht länger weben, färben oder töpfern konnten, hatte sie Geschichten erzählt und sie mit den Farben erfüllt, die sie so liebte.
    Perry lehnte sich mit seinem ganzen Gewicht an den Tisch; er vermisste sie und fühlte sich plötzlich schwach und erschöpft. Zwar hatte er kein Recht zu grübeln, da ihr Verlust seinen Bruder und seinen Neffen viel tiefer traf – schließlich hatten sie Frau und Mutter verloren. Aber Mila war auch seine Familie gewesen.
    Er wandte sich in Richtung der Schlafzimmertür. Gern hätte er Talon noch gesehen, aber dem leeren Krug nach zu urteilen, hatte Vale getrunken. Ein Zusammentreffen mit seinem Bruder wäre jetzt zu riskant gewesen.
    Einen Moment gestattete er sich die Vorstellung, wie es wohl wäre, Vale als Kriegsherrn herauszufordern und damit einem Verlangen nachzugeben, das so real war wie Durst. Wenn er selbst die Tiden anführen könnte, würde er

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