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Gebannt - Unter Fremdem Himmel

Gebannt - Unter Fremdem Himmel

Titel: Gebannt - Unter Fremdem Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Rossi
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Brüder miteinander gesprochen. Über Milas Tod und über Talon. Selbst die besten Medikamente, die Vale eintauschen konnte, halfen dem Jungen kaum noch. Sie sprachen es nicht aus, wussten es aber beide: Talon konnte von Glück reden, wenn er den Winter überlebte.
    Als Vales Aussprache vom Alkohol undeutlich zu werden begann, nahm Perry sich vor, zu gehen. Luster stimmte Perry milde, doch bei Vale bewirkte er genau das Gegenteil: Er ließ ihn wütend werden, genau wie es bei ihrem Vater der Fall gewesen war. Aber Perry blieb, weil Vale endlich redete und er ebenfalls. Dann machte Perry jedoch eine Bemerkung, der Stamm solle das Dorf aufgeben und sicherere Gefilde aufsuchen. Eine dumme Bemerkung. Er wusste, wohin sie führen würde, wohin sie jedes Mal führte. Streitereien. Böse Worte. Dieses Mal hatte Vale allerdings gar nichts gesagt. Er hatte bloß ausgeholt und Perry einen Kinnhaken verpasst. Hatte ihm einen harten Schlag versetzt, der sich vertraut und zugleich fürchterlich angefühlt hatte.
    Instinktiv hatte er zurückgeschlagen und Vale an der Nase getroffen, worauf sie einander gepackt hatten und es zu einem Handgemenge gekommen war. Das Nächste, woran er sich erinnerte, war Talon gewesen, der schläfrig und verblüfft in der Schlafzimmertür stand. Perry hatte erst Vale und dann Talon angeschaut. Die gleichen ernsten, grünen Augen. Beide Augenpaare waren auf ihn geheftet. Und hatten stumm die Frage gestellt, wie er einem gerade erst verwitweten Mann die Nase blutig schlagen konnte. In dessen eigenem Haus und vor den Augen seines todkranken Sohns.
    Beschämt und wütend war Perry gegangen. Direkt zur Festung der Siedler. Vielleicht konnte Vale ja keine Medikamente auftreiben, die Talon halfen, doch er hatte Gerüchte gehört, Gerüchte über die medizinischen Forschungen der Maulwürfe. Also war er dort eingebrochen, planlos, aber verzweifelt darum bemüht, das Richtige zu tun. Und nun hatte er einen Apfel und eine nutzlose Siedler-Augenklappe.
    Perry zog Talon näher an sich. »Ich war dumm, Tal. Ich hab nicht richtig nachgedacht. Zu diesem Streit hätte es nicht kommen dürfen. Aber auf Dauer werde ich tatsächlich von hier fortgehen müssen.«
    Das hätte er längst tun sollen. Seine Rückkehr bedeutete, dass er wieder auf Vale treffen würde. Und er wusste nicht, ob sie einander noch in die Augen schauen konnten, nach dem, was geschehen war. Doch Perry durfte nicht zulassen, dass Talons letzte Erinnerung an ihn darin bestand, dass er Vale mit der Faust ins Gesicht schlug.
    »Wann wirst du fortgehen?«, fragte Talon.
    »Ich dachte, ich könnte … Vielleicht kann ich ja noch etwas warten …« Er schluckte. Worte kamen ihm nie leicht über die Lippen, nicht einmal Talon gegenüber. »Bald. Aber schlaf jetzt, Tal. Jetzt bin ich ja hier bei dir.«
    Talon vergrub das Gesicht in Perrys Hemd. Und Perry heftete seinen Blick auf den Äther, während die kühlen Tränen seines Neffen durch den Stoff sickerten. Durch den Spalt im Dach beobachtete er, wie die blauen Ströme kreisten und sich als wilde Strudel hierhin und dorthin drehten, so als wären sie nicht sicher, in welche Richtung sie sich wenden sollten. Die Leute erzählten sich, den Sinnesträgern würde Äther durch die Adern fließen, er würde sie erhitzen und ihnen ihre extremen Sinne verleihen. Das war zwar nur eine Redensart, aber Perry wusste, dass es der Wahrheit entsprechen musste. Die meiste Zeit spürte er kaum einen Unterschied zwischen sich und dem Äther.
    Es dauerte eine ganze Weile, bis Talon in Perrys Armen einnickte. Aber obwohl seine Schulter durch das Gewicht von Talons Kopf taub geworden war, rührte er sich nicht von der Stelle und schlief schließlich ebenfalls ein.
    Im Traum sah er sich wieder in der Nähe des Feuers, das die Siedler gelegt hatten, und folgte dem Mädchen. Sie lief vor ihm durch den Qualm und die Flammen. Zwar konnte er ihr Gesicht nicht sehen, aber er erkannte sie an ihrem rabenschwarzen Haar und dem seltsam abstoßenden Geruch. Er jagte ihr nach, musste sie unbedingt erreichen, obwohl er gar nicht sagen konnte, wieso. Er wusste es einfach – mit jener eigenartigen, sinnlosen Gewissheit, die allen Träumen zu eigen war.
    Vollkommen verschwitzt und mit Krämpfen in den Beinen wachte er schließlich auf. Instinktiv blieb er reglos liegen, obwohl er das Bedürfnis hatte, sich den Schmerz aus den Muskeln zu massieren. Staubkörnchen tanzten im schummrigen Licht des Dachbodens – genau so mussten Gerüche

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