Gebannt - Unter Fremdem Himmel
mit seinen Ohren wahrnehmen.
Seit er Aria von seinen extremen Sinnen erzählt hatte, war sie ihm ausgewichen und hatte nicht mehr mit ihm gesprochen. Nach dem Aufbruch hatte sie sich zurückfallen lassen und war den ganzen Morgen neben Roar hergelaufen. Perry hatte die Ohren gespitzt, um herauszubekommen, worüber sie sprachen. Insgeheim hatte er sich sogar gewünscht, er wäre ein Horcher. Das hatte er auch noch nicht erlebt! Aber als er Aria über eine von Roars Bemerkungen lachen hörte, beschloss er, dass er genug hatte, und zog sich außer Hörweite zurück. Binnen weniger Stunden hatte Roar mit ihr mehr Worte gewechselt als er in etlichen Tagen.
Cinder hielt Abstand zu ihnen, doch Perry wusste, dass er sich irgendwo in der Nähe aufhielt. Der Junge war so geschwächt, dass er sich mit lauten, raschelnden Schritten vorwärtsschleppte. Man musste kein Horcher sein, um ihn im Wald hinter ihnen schlurfen zu hören. Am vergangenen Abend hatte irgendetwas an dem Geruch des Jungen in Perrys Nase geprickelt. Sie brannte, wie bei aufgewühltem Äther, doch als Perry aufgeschaut hatte, waren am Himmel keine wirbelnden Strudel, sondern nur dünne, feine Streifen zu sehen gewesen. Er fragte sich, ob ihm der Luster die Sinne vernebelt hatte oder doch eher die Kiefern.
Allerdings war es ihm nicht schwergefallen, die Stimmung des Jungen aufzunehmen. Cinders zorniges Gehabe mochte Roar und Aria in die Irre führen, doch Perry kannte die Wahrheit: Der eisige Nebel der Furcht hing an ihm. Roar hatte den Jungen auf dreizehn geschätzt, doch Perry hielt ihn für mindestens ein Jahr jünger. Warum war er allein unterwegs? Was immer der Grund dafür sein mochte – Perry wusste, dass nichts Gutes dahinterstecken konnte.
Gegen Mittag nahm er die Fährte eines Keilers auf. Der Geruch des Wildschweins war so stark, dass er bis in seine irritierte Nase drang. Perry eilte den Hügel hinab und erklärte Roar, wie er das Tier treiben musste, damit es ihm praktisch in die Arme lief.
Auf diese Art hatten sie schon ihr ganzes Leben lang gejagt. Roar konnte Perrys Anweisungen aus der Entfernung zwar deutlich hören, doch für ihn war es schwieriger, mit ihm zu kommunizieren. Da das Imitieren natürlicher Geräusche Horchern allerdings leichtfiel, hatten die beiden im Lauf der Jahre den Ruf von Vögeln zur Verständigung übernommen.
Nun hörte Perry Roars Pfiff, womit dieser ihn warnte. Achtung: Er kommt.
Sekunden später landete Perry einen Treffer im Genick des Keilers und, als das Tier stürzte, einen weiteren direkt ins Herz. Während Perry sich niederkniete und seine Pfeile einsammelte, wurde ihm plötzlich bewusst, dass die Jagd die beste Nutzung seiner Fähigkeiten darstellte. Er hatte den Rausch vermisst, das Hochgefühl, das sich einstellte, wenn er sich auf schlichte Dinge konzentrierte und diese erstklassig ausführte. Doch seine Befriedigung währte nicht lange. Als Roar herbeigelaufen kam, wusste Perry sofort, dass etwas nicht stimmte.
Normalerweise plusterte Roar sich nach der gemeinsamen Jagd immer auf wie ein Gockel, gab mit seinen Fähigkeiten an und behauptete, er habe die ganze Arbeit geleistet. Nun aber warf er nur einen kurzen Blick auf den Keiler, schloss die Augen und drehte den Kopf mit raschen, gezielten Bewegungen in verschiedene Richtungen.
Perry wusste schon, was kommen würde, bevor Roar den Mund aufmachte.
»Die Kräher, Perry. Ein ganzer Haufen.«
»Wie weit entfernt?«
»Schwer zu sagen. Vielleicht sieben Meilen Luftlinie.«
»Über Land, das meiste davon Hügel, könnte es weiter sein.«
Roar nickte. »Wir haben bestenfalls einen halben Tag Vorsprung.«
Perry zerteilte das Fleisch des Keilers in dünne Streifen und briet sie über einem Feuer. Der Äther war erwacht und bewegte sich in aufgewühlten Strömen. Und er verstärkte das Brennen in Perrys Nase. Ein Sturm würde alles noch komplizierter machen. Perry aß mit Aria und Roar, wobei sich keiner der drei die Mühe machte, das Fleisch langsam und vollständig zu kauen. Sie mussten schnell etwas in den Magen bekommen, damit sie die nötige Kraft hatten, den Krähenmännern davonzulaufen. Marrons Lager war noch immer zwei Tagesmärsche entfernt, und Perry wusste, dass sie erst würden rasten können, wenn sie dort angekommen waren.
Bevor sie aufbrachen, legte er noch ein paar Zweige frisches grünes Holz auf das Feuer. Der Rauch würde helfen, ihren Geruch eine Weile zu überdecken. Dann spießte er ein Stück Fleisch, das er beiseitegelegt
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