Gebieter des Sturms (German Edition)
konnte sie notfalls vielleicht auch besser fliehen. Die Villa auf dem abgeriegelten Grundstück hatte auf sie gewirkt, als könnte sie sich allzu leicht in ein Gefängnis verwandeln.
Und wie sich herausgestellt hatte, war ihr Impuls zur Vorsicht nicht ganz unbegründet gewesen.
Die vier Anwesenden im Zimmer wandten sich zu ihr um, als sie eintrat. Geschlossen richteten sie ihr Augenmerk auf die lautlose Bedrohung, die hinter ihr schritt, und alle Gesichter wurden kalt und starr. Alle, bis auf das eines dunkelhaarigen männlichen Dunklen Fae mit hohen Wangenknochen, dessen Krähenfüße sich an den Augen vertieften, als er sie anlächelte. Aubrey Riordan, Kanzler der Dunklen Fae, trat mit ausgestreckten Händen auf sie zu. Sie reichte ihm die ihren, und er hob sie an, um sie zu küssen.
Aubrey sagte: »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie wütend und bekümmert ich war, von dem Anschlag zu erfahren, den Geril und seine Partner auf Sie verübt haben. Und wie erleichtert und froh ich bin, dass Sie wohlbehalten und sicher zurück sind.«
Während der Dunkle Fae sprach, betrachtete Niniane prüfend sein Gesicht. Ihrem Wahrheitssinn zufolge war jedes Wort, das er sprach, aufrichtig. Aber sie, und sogar Dragos, hatte auch geglaubt, das Geril und die anderen die Wahrheit gesagt hatten. Wie Dragos’ Gefährtin Pia vor knapp einer Woche in New York angeführt hatte, gab es Möglichkeiten, den Wahrheitssinn zu umgehen, wenn jemand ein Talent für Worte und Irreführung besaß. Auf diese Art hatte Pia ein potenziell tödliches Zusammentreffen mit Urien überlebt, als dieser sie entführt hatte. Doch Aubreys Augen waren freundlich, und Niniane wollte ihm unbedingt glauben. Sie drückte seine Hand, bevor sie losließ.
Carling bewegte sich mit geräuschloser, geisterhafter Anmut und ließ sich in einen Sessel sinken. Die Vampyrin war noch immer barfuß, trug jedoch nicht mehr ihr Chanel-Kostüm. Stattdessen hatte sie einen weiten, schlichten Kaftan aus ungefärbter ägyptischer Baumwolle angezogen. Irgendwie wirkte das einfache Gewand an ihr wie Haute Couture. Ihr langes, glänzend schwarzes Haar hatte sie mit zwei schmalen Stiletts hochgesteckt. Die Messer und der Kaftan schienen alles zu sein, was sie trug. Die Vampyrin betrachtete die Szene mit Interesse, aber solange es nicht zu groben Verstößen gegen die Gesetze der Reiche kam oder jemandes Leben in Gefahr geriet, würde sie als Rätin des Tribunals der Alten Völker nicht eingreifen.
Kommandantin Arethusa stand stramm wie ein Ladestock hinter einem der Sofas. Die kräftig gebaute Dunkle Fae starrte Tiago finster an. »Der Wyr ist hier nicht zugelassen«, knirschte sie. »Er muss gehen. Jetzt.«
Ohne Vorwarnung sprang Ninianes Stimmungsbarometer von der kühlen grünen Seite in den roten Bereich, über dem »stinksauer« stand. Sie ballte die Fäuste. Es war wirklich gut, dass sie weder ein Heizungsrohr noch einen Kerzenleuchter bei sich hatte.
»Hey, wissen Sie was, Arethusa?«, sagte sie. »Ich werde Ihr Staatsoberhaupt. So können Sie nicht mit mir reden. NIEMALS . Es ist mir egal, für wie wichtig Sie Ihre Ansicht halten oder wie stark Ihre Gefühle in dieser Hinsicht sind. Lassen Sie uns an diesem Punkt kurz innehalten. Wenn wir schon bei dem Thema sind, was Sie nicht tun dürfen: Sie dürfen mich NIE WIEDER wie eine Schachfigur behandeln. Wenn Sie mir JEMALS wieder meine Güter des täglichen Bedarfs vorenthalten, wie zum Beispiel meine Kleidung oder Toilettenartikel oder eine gottverdammte Decke, nur um sich für irgendeinen rechtlichen Präzedenzfall zu rüsten, dann wird es mich nicht kümmern, wie viele Jahre Sie schon im Dienst der Dunklen Fae stehen oder was Sie glauben, dass man Ihnen schuldig ist. Dann werde ich Sie am nächsten Baum aufknüpfen lassen, und Sie sollten sich glücklich schätzen, dass das alles ist, was ich Ihnen antun werde. Ich weiß nämlich, dass mein Onkel Urien Sie für ein solches Vergehen ausgeweidet hätte. Sie sind vielleicht zu alt, als dass ich Ihnen wahren Anstand beibringen könnte. Aber deswegen werde ich noch lange nicht zulassen, dass Sie mich mit etwas anderem als äußerster Höflichkeit und Respekt behandeln. War das deutlich?«
Obwohl sich ihre Aufmerksamkeit auf die Fae-Kommandantin konzentrierte, erhaschte sie aus den Augenwinkeln zufällig einen Blick auf Carling. Lag da ein Schimmer von Anerkennung im Blick der alten Vampyrin?
Arethusas Miene wandelte sich so rasch, dass Niniane geschworen hätte, der Ausdruck
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