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Gebissen

Gebissen

Titel: Gebissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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Nische und hängte das inzwischen siebte Foto auf, Lisa hatte mitgezählt. Wie viele weitere er in seiner Hosentasche mit sich führte, konnte sie nicht sagen. Jedes Bild hatte er mit einem schwarzen Edding bearbeitet, dabei hatte er den Stift mit der ganzen Faust derart fest umklammert, dass die Adern seines Unterarms hervortraten. Anschließend hatte er auf jedes Bild gespuckt, sein Speichel war blutig rot. Irgendwas murmelte er dazu, doch seine Stimme war ein heiseres Zischen, das Lisa nicht verstand. Sie wollte es auch nicht verstehen.
    Der Glatzkopf an der gegenüberliegenden Wand zerrte noch immer an seiner Kette, die gierig hervorquellenden Augen stur auf Lisa gerichtet. Wie ein tollwütiger Kettenhund, der etwas gewittert hatte - einen Eindringling oder Beute. Lisa war nichts anderes als Beute für ihn. Er keuchte und knurrte, hatte noch kein einziges klar artikuliertes Wort von sich gegeben.
    »Halt die Klappe, Jo!«, rief der Junge mit hoher Stimme und zog ein achtes Bild aus der Gesäßtasche. »Du wirst später gefüttert.«
    Gefüttert. Wie ein Tier. Warum steckte dieser Kerl nicht in einer Psychiatrie? Stand er unter irgendwelchen besonders harten Drogen, oder war er auf Entzug? War diese Anlage hier ein Testlabor irgendwelcher Drogenerfinder? Lisa wusste nicht, wie man die Leute korrekt nannte, die neue synthetische Rauschmittel herstellten. Aber hier schien es gar nicht um so was zu gehen.
    Seit sie hier saß, fragte sich Lisa, wie Sandy diese Leute als neue Freunde bezeichnen konnte. Im schlimmsten Fall hatte Lisa mit einer obskuren Sekte gerechnet, Ökos mit Jesuslatschen und lauter furchtbar gutmenschigen Labereien, einem leicht entrückten Ich-habe-die-Erleuchtung-mit-Löffeln-gefressen -Schimmern in den Augen, Trottel, die brav alles schlucken, was ihr Guru oder Gruppenleiter ihnen vorsetzt. Aber das hier war doch Wahnsinn! Diese Gestalten waren doch alle irrsinnig. Wie konnte Sandy nur davon ausgehen, dass gerade sie die Richtigen waren, um ihr zu helfen?
    Das sind keine Menschen, dachte Lisa, doch sofort verwarf sie diesen Satz wieder. So etwas wollte sie nicht denken, so etwas konnte nicht sein, doch wenn sie ehrlich zu sich selbst war, glaubte sie genau das. Aber was sollten sie sonst sein?
    Das sind keine Menschen, dachte sie noch einmal ganz bewusst, um den Gedanken zuzulassen. Sandy hatte sie über das verlassene Industriegelände geschleift wie eine Puppe. Lisa wusste, dass Sandy nicht so viel stärker war als sie, oder zumindest früher nicht. Eben war sie unmenschlich stark gewesen. Stärker, als irgendwelche Drogen oder Dopingmittel sie machen konnten.
    Alex und diese andere Frau hatten beim Sex eine Wohnung zerlegt. Auch das war nicht normal gewesen.
    Aber wenn die Leute hier und Alex und diese Frau alle keine Menschen waren, was waren sie dann?
    Ich will, dass du eine von uns wirst, hatte Sandy gesagt. Wenn er erwacht, musst du zu uns gehören, das ist sicherer für dich.
    Aber sie wollte nicht so werden wie der kalte schwarze Günni neben ihr, nicht wie der spuckende Junge mit dem gehetzten Blick am Pfeiler, der nach der Anzahl der aufgehängten, mit Kritzeleien verfluchten Fotos offenbar jeden in seinem Umfeld zu hassen schien, und schon gar nicht wollte sie so werden wie dieser Jo, der knurrend an seiner Kette zerrte und sich mit den Füßen immer tiefer in die feuchte Erde grub. Was hieß da schon sicherer, wenn man an einer Kette leben musste?
    Sie war immer zu feige gewesen, in einen der Züge mit unbekanntem Ziel einzusteigen, als sie zum Bahnhof gegangen war, hatte nur davon geträumt, ihnen bei der Abfahrt sehnsüchtig hinterhergesehen und war doch nach Hause gegangen. Hatte brav das Abi abgewartet, um endlich auszuziehen und weit weg von ihrer mechanischen Mutter und deren Walther zu studieren. Ganz sicher wollte sie nicht an einer Kette leben, sie wollte endlich frei sein.
    So frei wie diese Frau gewirkt hatte, die Alex gevögelt hatte. Die wäre in den erstbesten Zug gestiegen, der über eine Grenze fuhr, da war sich Lisa sicher. Sosehr sie Alex für das, was er getan hatte, hasste, so sehr verstand sie ihn. Niemand stieß eine solche Frau von der Bettkante, vielleicht würde es nicht einmal Lisa tun, die sich noch nie körperlich zu einer Frau hingezogen gefühlt hatte, und dafür hasste sie sie. Sie hatte das Gefühl, ihr gegenüber vollkommen wehrlos zu sein, und sie wollte nie wieder wehrlos sein.
    Auch sie ist kein Mensch, dachte Lisa, doch sie war anders als die

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