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Gebissen

Gebissen

Titel: Gebissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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irgendwelchen Drummerkarrieren fantasiert hatte, sondern lauter schwammige Parolen. Also hab ich nachgefragt, und er sagte, darüber dürfe er leider nicht reden, Verschwiegenheitsklausel, ich wisse schon. Aber schon bald werde ich davon hören. Und dabei lächelt er wie der Banker neulich, als er mir meinen Dispo halbiert hat.«
    »Dir haben sie den Dispo halbiert? Warum?«, wollte Mela wissen, und Alex stellte sein Bier ab, um auf die Toilette zu gehen. Er hatte ja schon immer gesagt, dass Andi ein Idiot war. Auch wenn er eigentlich eher zu viel gequatscht hatte und nicht zu wenig. Er hatte Klatsch schneller verbreitet als das Internet, wenn auch nicht ganz weltweit. Der Typ und Verschwiegenheitsklauseln passten so gut zusammen wie ein Tiger und vegetarische Ernährung.
    Alex schlängelte sich zwischen den zumeist schwarz-gekleideten Clubbesuchern hindurch und nickte im Takt zur Musik. Er passierte die achteckige Säule mit den bleichen aufgemalten Fratzen, umrundete die gut gefüllte Tanzfläche und warf einen abwesenden Blick in das verglaste Kabuff des abrockenden DJs mit der breiten Glatze. Dabei achtete er nicht auf die Leute um sich herum, nicht auf die versprengten Silben, die von ihren Gesprächen an sein Ohr drangen, nicht auf die beiden Großbildleinwände rechts und links der Tanzenden, über die stets stumme Mitschnitte von Konzerten flimmerten, manchmal auch Videos.
    Dann sah er etwas im Augenwinkel, nur unbewusst und undeutlich wie eine Ahnung, doch er wandte den Kopf - und erblickte sie.
    Eine wunderschöne blonde Frau, die an der Theke saß und mit ihrem kurzen weißen Rock und dem blau glitzernden Top nicht hierher zu passen schien. Sie war vielleicht ein bisschen jünger als er, um die dreißig, eher neunundzwanzig, dieses ewige Neunundzwanzig, und hatte ein schmales Gesicht mit gerader Nase, strahlenden Augen, schweren hellblauen Lidern und vollen, rosa schimmernden Lippen.
    Abrupt blieb Alex stehen und starrte zu ihr hinüber. Jemand rempelte ihm gegen die Schulter, drängte sich grob an ihm vorbei, doch er bemerkte es nicht. Er hatte den Takt des Songs verloren, jeden Gedanken, er konnte nur zu ihr hinüberstarren.
    Noch nie hatte er eine Frau mit einer solchen Ausstrahlung gesehen. Einen Moment lang sah er nur sie deutlich und scharf, alle anderen waren grau und verwaschen, konturlose Schemen wie Gestalten im nächtlichen Regen. In diesem Moment existierte nur sie, diese makellose Schönheit auf einem Barhocker. Dabei war sie nicht ätherisch wie eine Elfe, sondern strahlte Sinnlichkeit aus. Ihm schoss das Blut zwischen die Beine, doch zugleich entwickelte er eine tiefe Abneigung gegen diese perfekte Frau, diese fleischgewordene Aphrodite. Die war doch zu schön, um wahr zu sein! Wie sie dasaß mit diesem Wissen, schöner zu sein als alle anderen hier, wie sie ihre Hand mit geradezu widerlicher Anmut nach dem Cocktailglas ausstreckte, diese kalte Arroganz … es ärgerte ihn. Er spürte, wie Wut in ihm hochkochte.
    Erwachsene Frauen, die ihre Lippen mädchenhaft rosa schminkten, nahm er nicht ernst, Blondinen schon gar nicht, auch wenn die Hälfte von ihnen ja nichts für ihre Haarfarbe konnte. Er hatte nun einmal keine Schulmädchenfantasien, er konnte rosa Lippen so wenig leiden wie Mädchenzöpfe über den Ohren oder Kniestrümpfe.
    Was war so toll an unerfahrenen Jungfrauen? Die wussten doch gar nicht, was man alles miteinander anstellen konnte im Bett, auf dem Schreibtisch oder sonst wo. Warum nur hieß es immer wieder, Männer standen darauf? Vielleicht gab es diese Männer ja, doch er gehörte nicht dazu. Er nicht, rosa Lippen konnten ihm gestohlen bleiben.
    Doch das war es nicht, seine spontane Abneigung saß tiefer, noch nie hatte er so auf jemanden reagiert, mit dem er noch kein Wort gewechselt hatte. Es war, als wäre die Leere in ihm knackend aufgebrochen wie ein Ei. Als würde Hass daraus schlüpfen, wie ein kleiner schwarzer Vogel. Ein Vogel, der tot war. Ein hässliches, verschrumpeltes, nacktes Ding mit blinden Augen, das sich auch tot regte und stumm nach Nahrung schrie. Ein totes Ding, das nicht fressen konnte und seinen Hunger doch hinausschrie.
    Mit jeder Sekunde, die Alex zu ihr hinüberstarrte, wurde seine Abneigung größer, und auch sein Begehren. Er stierte hinüber, der Penis drückte so schmerzhaft gegen seine Jeans, als müsste er platzen. Alex atmete schwer durch den leicht geöffneten Mund, seine Hände zitterten und wurden feucht. Abwesend wischte er sie an

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