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Gebissen

Gebissen

Titel: Gebissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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erstreckte sich inzwischen der Mauerpark, hier kannte er sich wieder aus, er hatte nicht gedacht, dass der so nah war. Er hörte das Lachen der Feiernden und Musik, weiter von der Straße weg brannte ein kleines Feuer. Doch er ging einfach weiter und sah zum Himmel hinauf, ob da ein Vollmond zu finden war, den er für seine kranken Gedanken verantwortlich machen konnte, schließlich war diese Nacht besonders hell. Doch über den Hausdächern zu seiner Rechten hing nur ein bleicher Halbmond.
    Solche Gedanken, solche Wünsche hatte er noch nie gehabt. Gut, gestern hatte er Danielle schlagen wollen und sie auch in den Hals gebissen, aber nur ganz leicht, das war spielerisch gewesen, vielleicht auch ein lustvoller Kampf, aber er hatte doch nicht richtig zugebissen. Schließlich war kein Blut geflossen! Oder doch? Nein, nur ein wenig aus seiner alten, neu aufgekratzten Narbe, aber darum ging es jetzt nicht.
    Okay, als Kind hatte er an seinen Wunden gelutscht, hatte probiert, wie sein Blut schmeckte, hatte es sicherlich auch mal geschluckt. Aber in dem Alter tat das doch jeder. Vielleicht hatte er auch eine Schürfwunde am Knie mehrmals wieder aufgekratzt, um über Wochen hinweg immer wieder daran zu nuckeln, aber mit elf oder zwölf machte man eben seltsame Dinge.
    Und mit siebzehn hatte er seiner ersten Freundin in den Hals gebissen, aber das war ein Versehen gewesen und nicht wirklich fest, auch sie hatte nicht geblutet. Damals hatte er gelesen, dass Küsse auf den Hals erotisch waren, also hatte er sie vor dem Sex eben auf den Hals geküsst. Nicht zurückhaltend, sondern möglichst leidenschaftlich, er wollte ihr zeigen, dass er ein Mann war, der zupacken konnte, er war angetrunken gewesen, und ... Soweit er sich erinnerte, war es eher peinlich gewesen. Sie hatte »Au« geschrien und: »Spinnst du?« Er hatte sich entschuldigt, und alles war wieder gut gewesen. Zumindest für den einen kurzen, verregneten Sommer.
    Das heute war anders gewesen. Keine kindliche Neugier, keine Unbeholfenheit, sondern das absurde Gefühl, dass Beißen mehr war als Küssen. Beißen als Steigerung von Küssen war doch Quatsch! Als wäre Würgen oder Rippen brechen die Steigerung einer Umarmung. Das hatte doch nichts miteinander zu tun. Was war da nur in seinem Kopf vorgegangen? Leidenschaftliches Küssen sollte zu Sex führen, nicht dazu, dem Partner den Hals aufzureißen. Aber hatte er in ihr überhaupt eine Partnerin gesehen? Er hatte sie einfach haben wollen in diesem Moment, so etwas kam vor, doch es war anders gewesen als sonst. Nicht einfach der Wunsch nach Dominanz, sondern ...
    »Anders, ja, ja«, motzte Alex vor sich hin. Was sagte das schon aus! Er musste konkreter werden, wenn er verstehen wollte, was in ihm vorging.
    Hatte er nur daran gedacht, sie zu verletzen, oder hätte er auch ihr Blut trinken wollen, wirklich trinken? Er wusste es nicht, und es machte ihm Angst, dass er den Durst nach Blut nicht mit Sicherheit von sich weisen konnte. Durst nach Blut, wie das schon klang! Nach Vampir, natürlich, aber das war albern. Schließlich gab es keine Vampire, sie waren Fantasieprodukte und alter Aberglaube. Trotzdem betastete er seinen Hals, ob er irgendwelche Bisswunden spüren konnte. Doch da war nichts. Hätte ihn irgendwer gebissen, würde er sich ja auch daran erinnern. Außerdem war er heute schon in der prallen Sonne gewesen.
    Mit Koma konnte er nicht darüber reden, mit keinem seiner Freunde, und zu einem Psychologen wollte er erst recht nicht.
    Herr Doktor, ich würde gern jungen Frauen die Kehle aufheißen und ihr Blut trinken. Oder zumindest verschütten. Küssen ist mir irgendwie zu soft.
    Die würden ihn doch sofort einliefern!
    Und könnten Sie mir noch einen guten Augenarzt empfehlen? Ich sehe neuerdings in der Nacht besser und weiß nicht, warum.
    Die Nacht war nicht plötzlich heller, es war inzwischen Mitternacht, und nicht überall konnten mehr oder stärkere Straßenlaternen leuchten als sonst. Natürlich war es großartig, besser zu sehen, aber wenn es keinen Grund dafür gab, war es auch unheimlich. Gab es Krankheiten, die mit einer Verbesserung der Sehkraft begannen und trotzdem zum Tod führten? Krankheiten, die übertragen wurden, wenn man kein Kondom benutzte?
    Unsinn, so ein hirnverbrannter Unsinn, dachte Alex. Darüber würde er sich erst mal keine Sorgen machen, besser zu sehen war momentan wirklich das kleinere Problem. Er überquerte die belebte Schönhauser Allee, taxierte die Nachtschwärmer und sah

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