Gebissen
dich, und dann will sie mich, krieg das endlich in deinen Schädel! Da hinzugehen ist Selbstmord!«
»Ich pass schon auf mich auf«, brummte er.
»Fahr einfach nicht hin!«
»Ich fahr nicht ganz hin. Ich seh es mir aus der Ferne an, vielleicht kann ich etwas herausfinden, das uns weiterhilft.«
»Riskier ihretwegen bloß nicht zu viel. Ich brauch dich noch.« Der letzte Satz kam Danielle nur stockend über die Lippen.
»Ja«, sagte er und legte auf. Wenn er Lisa vor ihnen retten könnte, würde er alles riskieren. Er schuldete es ihr, ohne ihn wäre sie gar nicht bedroht. Doch dann korrigierte er sich, schließlich lebte sie mit einem Vampir in einer WG.
»Das klang nicht gut«, sagte der Taxifahrer. »Ist die Frau verschleppt worden?«
»Wahrscheinlich.« Alex fantasierte irgendwas über eine dubiose Sekte zusammen, die alle Verwandten von ihr in ihren Fängen hielt, aber die Frau, die er liebte, wolle da raus, und er musste sie erwischen, bevor ihr Gehirn gewaschen war, und mit ihm auch ihr Herz. Irgendwas möglichst Dramatisches. »Aber sie sind schon dort, deshalb fahren Sie mich bitte zwei Querstraßen weiter, dann versuche ich es über den Hinterhof.«
»Soll ich die Polizei rufen?«
»Nein, danke. Das hat keinen Zweck, das haben wir schon versucht.«
»Ich hab einen Cousin bei der Polizei, den könnte ich da anrufen.«
»Danke, wirklich. Es muss ohne gehen, die Sekte hat gute Anwälte.«
Der Taxifahrer nickte mitfühlend und hetzte knapp an einem Radfahrer vorbei. »So ist es immer, die größten Schweine haben die besten Anwälte.«
»Da kann man nichts machen«, erwiderte Alex. Das waren die Klischees, die jeder schluckte, Anwälte waren die Magier und Schamanen eines Rechtsstaats, sie redeten für Normalsterbliche unverständliches Zeug und konnten einen damit retten oder in den Abgrund stürzen. Belustigt schüttelte Alex über seinen unsinnigen Vergleich den Kopf.
Das Radio vermeldete, dass die Zahl der Unfalltoten auf Berlins Straßen im letzten Monat deutlich gestiegen sei. Alex dachte an zahllose Blutlachen auf der Straße, an Blut, das im Rinnstein versickerte, und starrte in die Nacht, während das Taxi die Danziger Straße hochraste.
23
Koma saß in der Horror-Rock-Bar Last Cathedral am Rosa-Luxemburg-Platz, starrte auf die einem Dungeon nachempfundenen Wände, die wie aus Pappmache wirkten, und trank Bier. Jens und Mela waren seit einer Stunde bei ihm, und er erzählte ihnen zum bestimmt zehnten Mal von der erhängten Ratte an Alex’ Wohnungstür: »Es war eine süße weiße Ratte, so schrecklich klein, und ich kriege diese verdammten zerstochenen Augen nicht aus meinem Schädel, die blutigen Stellen, wo sich die Spitzen des Stacheldrahts in den Hals gebohrt haben, wahrscheinlich, als sie verzweifelt gezappelt hat, um freizukommen, verängstigt und voller Schmerz. Ich könnte die Sau umbringen, die das getan hat.«
»Und Alex hat nicht gesagt, warum ...?«, fragte Jens zum ebenfalls zehnten Mal, und erneut schüttelte Koma den schweren Kopf.
»Ich glaube, der will uns da nicht mit reinziehen, der blöde Idiot. Als würden wir uns da nicht selbst einmischen. Einen Freund lässt man doch nicht hängen, wenn ihm jemand eine tote Ratte schickt. Nur weil er sich nicht helfen lassen will, lässt man ihm doch nicht seinen Willen«, brabbelte Koma. Er hatte das sechste oder siebte Bier intus und spürte es deutlich. Von allzu viel Nutzen wäre er heute nicht mehr, aber Alex rief ja sowieso nicht an, um sich helfen zu lassen. Er trank, um die Ratte zu vergessen, und er trank weiter, weil er angefangen hatte und immer schlecht aufhören konnte. Laut sagte er: »Ich liebe Ratten.«
»Vielleicht hat Alex ja gute Gründe, uns nicht einzuweihen«, vermutete Jens, und Mela nickte. »Vielleicht können wir ihm wirklich nicht helfen, sondern würden alles schlimmer machen, wenn wir uns einmischen.«
»Schlimmer machen? Verdammt, wir müssen uns einmischen. Hinter unserem Freund ist ein fieser Rattenmörder her, den kann man doch nicht einfach laufen lassen. Wir müssen die Ratte rächen!«
»Hey, Koma, du hast echt ein bisschen viel getrunken«, sagte Mela sanft.
»Ja und? Was hat das mit dem Rattenmörder zu tun? Da draußen läuft ein Rattenmörder frei rum. Ein Rattenhenker! Ich will doch nur nicht, dass der auch Alex mit Stacheldraht stranguliert.«
»Meinst du, das ist so ernst?« Ungläubig starrte Jens ihn an. Mela legte ihre Hand beruhigend auf Jens’ Arm und schüttelte ganz
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