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Gebissen

Gebissen

Titel: Gebissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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Galerie errichtet hatten.
    Doch sie konnte deren Wut nicht empfinden, sie spürte nur fassungslose Kälte, fühlte sich innerlich tot, eingefroren, zu Stein erstarrt. Selbst ihr Zorn auf Alex wurde darunter begraben.
    Plötzlich wurde das Keuchen lauter und wütender, fast ein Bellen, ein japsendes Knurren. Lisa wirbelte herum und entdeckte an der gegenüberliegenden Wand einen riesigen glatzköpfigen Mann mit bloßem Oberkörper und schwarzer Trainingshose. Schweißüberströmt rannte er drei, vier Schritte nach rechts, dann nach links, wieder nach rechts und so weiter. Dabei starrte er durchweg zu ihr herüber und gab diese tierischen Geräusche von sich. Es sah aus, als wäre er an die Wand gekettet.
    »Was ...«, war alles, was sie herausbrachte.
    »Das ist Joachim. Er hat so viel Durst, dass er nicht mehr hinausdarf, der Arme. Noch nicht. Du brauchst aber keine Angst vor ihm zu haben, die Kette hält, sie ist aus bestem Titan.«
    Der Mann knurrte und zerrte an der Kette, seine Füße gruben sich tief in die Erde, suchten scharrend Halt, um sich loszureißen.
    »Er kann dich riechen«, fügte Sandy noch hinzu. »Aber er braucht dich wirklich nicht zu kümmern. Für dich ist Günni wichtiger.«
    »Wer?«
    »Günni«, sagte eine tiefe männliche Stimme neben ihr. »Das bin ich.«
    Lisa drehte sich wieder um und erblickte einen kräftigen blonden Mann in einem schwarzen, schlammverdreckten Anzug. Er war barfuß, hatte Sandys kalte Augen und eine Adlernase und zeigte ein dünnes Lächeln, das schlimmer war als jede ausgesprochene Drohung. Die Hand reichte er ihr nicht zur Begrüßung, und Lisa brachte keinen Ton heraus.
    I wear black on the outside, because black is how I feel in the inside, hatten The Smiths mal gesungen, und sie hatte nie einen Menschen gesehen, bei dem das so zu passen schien wie bei diesem hier. Doch es war keine elegante Schwärze, nicht die einer mondlosen Nacht, sondern die eines endlosen Abgrunds, die Schwärze der Erde, die bei Begräbnissen auf den Sarg geschaufelt wurde.
    »Das ist Elisabeth«, stellte Sandy sie ganz förmlich vor. »Kannst du ihr bitte ein wenig Gesellschaft leisten, solange ich bei ihm bin? Sie soll eine von uns werden.«
    »Sicher?«
    »Ja.«
    »Und warum rastet dann Jo so aus?«
    »Jo ist verrückt.«
    »Aber seine Nase ist gut.«
    »Auch er kann sich irren. Passt du also bitte auf sie auf? Nicht dass noch jemand reinschneit und sie aus Unwissenheit anfällt. Sie wird eine von uns, sie ist nicht zum Trinken da, klar?«
    »Schon gut, ich pass auf«, sagte Günni.
    Zum Trinken, was heißt zum Trinken?, dachte Lisa. Und wieso anfallen ?
    Sandy führte sie in den Durchgang in der Wand, dahinter öffnete sich ein kleiner Raum mit einer Sitzbank, ähnlich unbequem wie die in einer Kirche: zwei Bretter, im rechten Winkel aneinandergenagelt.
    »Setz dich«, sagte sie, und Lisa tat wie geheißen. Ihr fiel plötzlich auf, dass sie unter den zahllosen Fotos auch eines von Sandys Martin gesehen hatte. Sie hatte ihn nur nicht gleich erkannt, weil seine Augen große dunkle Höhlen gewesen waren, aus denen Ströme von schwarzen Tränen bis über den Bildrand hinausrannen.
    »Was ist mit Martin?«, fragte^ie, obwohl sie viel mehr Angst um sich selbst hatte. Sie wollte nicht mit diesem Günni allein gelassen werden, er war ihr unheimlich, von ihm ging eine unerträgliche Kälte aus. Im Vergleich dazu war Sandy vertraut, egal, wie verrückt sie sich gebärdete, egal auch, dass sie sie hier heruntergeschleppt hatte, egal, wie kalt ihre Augen waren.
    »Nichts ist mit Martin.«
    »Hast du ihm etwas angetan?«
    »Nein. Warum?«
    Ein Hauch von Erleichterung machte sich in Lisa breit, doch dann verblasste er sofort. Wer sagte denn, dass Sandy nicht log? »Bitte bleib.«
    »Ich komme doch gleich wieder. Keine Angst.«
    Lisas Lippen begannen zu zittern, Tränen liefen ihr die Wange herunter. Schon wieder, und sie konnte nichts dagegen tun. Sie biss sich auf die Lippe und wollte weg, einfach nur weg, irgendwohin. Wieso hatte Sandy sie hierhergebracht? Sie hatte ihr Sicherheit versprochen, nicht das.
    Dieser Jo keuchte, zerrte an seiner Kette und geiferte nach ihr.
    »Ganz ruhig.« Sandy beugte sich zu ihr vor, strich ihr das Haar aus der Stirn, klemmte ihr die Strähne hinter das Ohr und blickte sie eindringlich an. Die Geste einer Geliebten, doch ihre Augen waren trotz aller Eindringlichkeit kalt. Sie führte ihre Lippen ganz nah an Lisas Ohr und flüsterte, so dass niemand außer ihr es

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