Gebissen
wie weit er ihr vertrauen konnte. Bislang zumindest hatte er sie bei keiner Lüge ertappt. Das eben war nur ein Traum gewesen, ein dummer, harmloser Alptraum.
Danielle riss den Küchenschrank auf, holte eine Packung Kaffee heraus und drückte Alex einen Löffel in die Hand. »Iss!«
»Was?«
»Das hält dich wach. Was Besseres hab ich nicht da, kein Koks, keine Amphetamine, kein Ephedrin, ich brauch das ja nicht.«
Alex nahm einen Löffel Kaffeepulver in den Mund. Es schmeckte widerlich bitter, und er spuckte es sofort ins Spülbecken. Er spuckte und spuckte, bis alles Pulver draußen war. Dabei stellte er fest, dass sein Speichel kaum schwarz war, abgesehen vom Kaffee.
»Ich koch mir den Kaffee lieber«, brummte er.
»Mach ihn aber stark. Drei Löffel pro Tasse, und das langt nicht.«
»Ja, ja.«
»Er erwacht«, sagte Danielle. Ihre Stimme klang müde, als sie wiederholte, was sie ihm schon einmal erklärt hatte: »Blutväter senden üblicherweise Träume ohne Ziel in die Nacht, dunkle Nachtmahre. Geboren aus dem Blut und den Tränen, die sie trinken, eine Art unsichtbarer Nebel, der jeden befällt, der gerade anfällig dafür ist. Jeden einsamen, betrogenen, verängstigten, trauernden Schlafenden. Alpträume, die wache Menschen oder Vampire mit in ihre Welt zerren können, treten erst dann auf, wenn der Blutvater langsam erwacht. Seine Vampire sind hinter dir her, und somit auch seine Alpträume.« Sie wartete einen Moment, doch als er schwieg, fuhr sie fort: »Ich weiß nicht, wie die Träume dich finden, ob sie dazu die Augen eines Vampirs brauchen, aber sie werden alles tun, dich in den Schlaf zu zerren.«
Das klang absurd, trotzdem warf er gleich noch einen gehäuften Löffel Kaffee mehr in die Maschine. Betrogene und Verängstigte gab es in einer Stadt wie Berlin genug. Genügend Futter für einen Blutvater. »Dann erwacht er jetzt? Willst du dann nicht endlich andere Nephilim zu Hilfe rufen wie damals in Sodom?« Warum hatte er nicht früher daran gedacht? Warum hatte sie nicht daran gedacht?
»Nein, ganz im Gegenteil, ich habe alle gewarnt, die ich kenne und erreicht habe. Je mehr Nephilim in Berlin sind, umso leichter fällt es ihnen, das Blut eines Nephilim zu vergießen.«
»Und was war in Sodom? Da hast du dir keine solchen Gedanken gemacht!«
»In Sodom war der Blutvater bereits erwacht.«
»Aber das geschieht hier doch gerade! Wären wir mehr, könnten wir die verdammten Vampire einfach überrennen! Uns ihnen stellen, ich hätte nicht vor dreien davonradeln müssen!«
»Und irgendwer von uns stirbt dabei oder wird auch nur verletzt, und sein Blut versickert in der Erde, und der Blutvater erwacht. So ein Kampf hilft ihm doch nur! Das ist doch genau das, was er will!«
»Soll er doch erwachen! Erschlagen wir ihn einfach im Freien und nicht unter der Erde! Das macht doch keinen Unterschied.«
»Du hast keine Ahnung.« Danielle setzte sich und hielt sich die Hände vor das Gesicht, rieb sich die Augen. Dann hob sie den Kopf und sah ihn an. »Du hast keine Ahnung, wie groß er ist. Die ganze Stadt ist damals niedergebrannt. Willst du das? Drei Millionen Tote, wenn wir ihn besiegen. Mit viel Glück nur zwei.«
Alex starrte sie an und schüttelte stumm den Kopf.
Drei Millionen Tote.
Lisa, Koma, Jens, Mela und so weiter. Ihm wurde übel. Erst jetzt, als sie die Zahl ausgesprochen hatte, wurde ihm wirklich bewusst, was sie hier versuchten. Drei Millionen Menschen, das war verrückt. Das war eine Zahl, die man sich nicht vorstellen konnte.
Alex hatte plötzlich Bilder von beiden Weltkriegen im Kopf, fallende Bomben und Rauchwolken in Schwarz-Weiß, eine mittelalterliche Miniatur der Pest und dieses berühmte Gemälde mit der Frau, die auf einem Monster ritt. Den Vesuvausbruch. Kein Bild von einem Brand.
Nein, es müssten mehr überleben, so schnell breitete sich kein Feuer aus, die Leute müssten fliehen können. Heutzutage war doch alles viel weiter entwickelt als damals in Sodom, es gab eine professionelle Feuerwehr und Pläne für jede Art Notfall. Ein ausgeklügeltes Warnsystem. Man musste die Stadt vorher evakuieren! Sein Mund war trocken, als er sich die erste Tasse Kaffee einschenkte, er brachte nur ein Wort heraus: »Evakuieren.«
»Und wie? Mal eben bei der Polizei anrufen und sagen, da erwacht ein gigantisches bluttrinkendes Wesen unter Berlin. Wir würden es gern stoppen, und zwar mit Feuer. Könnten Sie bitte schon mal die Evakuierung der Stadt einleiten? Besten
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