Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gebissen

Gebissen

Titel: Gebissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
Vom Netzwerk:
es gleich geschafft.«
    »Nicht gleich, ich hab es jetzt geschafft.« Lisa rollte den ersten Socken auf, um hineinzuschlüpfen. Es fiel ihr furchtbar schwer, ihrer Freundin zu widersprechen, sie konnte nicht sagen, warum.
    »Nein! Du kannst jetzt nicht aufgeben. Nicht hier!«
    »Doch, ich kann. Ich will nicht mehr.«
    »Du musst aber noch!« Sandy packte sie fest am Arm und zerrte sie von den Schuhen weg. Lisa hatte nicht die geringste Chance, sich dagegenzustemmen, Sandy war einfach zu stark.
    Viel zu stark.
    »Lass mich meine Schuhe anziehen!« Lisa wurde mit einem Mal von Panik gepackt. So wie Sandy sie anstarrte, mit diesen harten, plötzlich furchtbar kalten Augen, wie sie sie mühelos von den Schuhen weggezerrt hatte, machte sie ihr Angst. »Es tut wirklich weh.«
    »Nein, er tut dir nicht weh! Er gibt dir die Kraft, anderen wehzutun, dich zu wehren!«
    »Wer, verdammt?«, rief Lisa, aber sie wollte es eigentlich gar nicht wissen. Sandy war genauso übergeschnappt wie Alex - die ganze Welt schnappte über!
    »Du wirst es gleich sehen, wir haben es nicht mehr weit. Komm schon.« Sandys Stimme wurde einschmeichelnd, eindringlich.
    »Nein!«, wollte Lisa schreien, aber sie konnte nicht. Sandys Blick lähmte sie, sie fühlte sich wehrlos, hilflos, fast so hilflos wie auf der Schlafzimmerschwelle in Alex’ Wohnung.
    Furchtbar schwach und ausgeliefert.
    Sandy zerrte sie auf das verlassene Firmengelände, und verzweifelt stemmte Lisa die Füße in den Boden.
    Tränen liefen ihr über die Wangen, sie dachte nur Nein! Nein! Nein!
    Doch es half nichts, sie wurde einfach mitgeschleift wie eine kleine Puppe. Die Fußsohlen schabten über den Boden, wurden aufgerissen und eine Zehe umgeknickt, Schmerz stach ihr spitz bis zum Knöchel hinauf, doch sie konnte nicht schreien, nur nach Luft japsen. So sehr sie sich mühte, sie fand keinen Halt, ihre Gegenwehr war erbärmlich, Sandy viel zu stark.
    Warum tat Sandy das?
    Lisa stieß sich die nächste Zehe, der Nagel riss ein, sie stolperte und ließ sich einfach fallen, was sollte sie auch weiterlaufen? Sandy schleifte sie noch drei oder vier Schritte mit, die Knie schrabbten über den Schotter. Dann blieb sie stehen.
    »Jetzt sei nicht kindisch, das muss doch wehtun. Lauf selbst, es ist zu deinem Besten.«
    Zu deinem Besten. Sie zerrte sie mit sich wie eine genervte Mutter ihre zappelnde kleine Tochter, die Angst vor dem Spott ihrer Klassenkameradinnen hat. Stumm schluchzend rappelte sich Lisa auf. Gegenwehr hatte einfach keinen Sinn, sie war viel zu schwach. Über die Schmerzen in den Füßen hinweg konnte sie das Kribbeln noch immer spüren.
    Sie stolperte an Sandys Hand zwischen alten Lagerhallen hindurch, über Schutt und durch wuchernde Brennnesseln, hinein in ein halbverfallenes Gebäude, in dem irgendwelche Maschinenüberreste vor sich hinrosteten, wie auch die Fensterrahmen aus Eisen, in denen sich kaum noch Scheiben befanden, und schon gar keine unbeschädigten. Meist hingen nur noch ein paar Splitter am Rand wie spitze, unregelmäßige Zähne.
    Sie gingen durch eine alte Feuertür in ein enges, dunkles Treppenhaus, die grauen betonierten Stufen hinab ins zweite Kellergeschoss und dort einen langen, schwach beleuchteten Gang mit schmutzig weißen Wänden entlang, vorbei an mehreren geschlossenen Türen und Abzweigungen. Der Gang war nicht so verfallen wie die Gebäude oben, schließlich war er nicht der Witterung ausgesetzt gewesen. Alles wirkte verlassen, und doch sollten sie hier jemanden treffen. Ihn und Sandys neue Freunde.
    Die Luft war kühl und schwer wie in einer Höhle. Lisa zitterte, wenigstens hatte sie aufgehört zu weinen. Sie zog die Nase hoch und blinzelte alle Tränen weg, wischte sich mit der freien Hand übers Gesicht. Sie würde sich nicht als flennendes Häufchen Elend irgendwo abliefern lassen.
    Einen Moment lang dachte sie, dass Sandy sie vielleicht zu Alex bringen würde, dass alles eine kranke Show war, inszeniert von zwei Wahnsinnigen, nein, dreien, und dann öffnete Sandy eine dicke rote Stahltür und sie bogen in einen weiteren Gang, der nach vielleicht zehn Metern vor einer ebenfalls dunkelroten Tür endete. Ganz leise war eine gedämpfte Mischung aus Keuchen und Jaulen zu hören. Es klang tierisch, aber Lisa konnte es einfach nicht zuordnen. Das Wesen schien Qualen zu leiden.
    »Was ist das?«, fragte sie leise.
    »Wir sind gleich da«, antwortete Sandy. Jetzt klang sie nervös.
    Mit jedem Schritt wurde das Geräusch lauter. Alles in

Weitere Kostenlose Bücher