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Gebissen

Gebissen

Titel: Gebissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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hören konnte: »Ich will, dass du eine von uns wirst, hörst du? Wenn er erwacht, musst du zu uns gehören, das ist sicherer für dich.« Dann gab sie ihr einen Kuss auf die Wange, was sie nur selten tat, und richtete sich wieder auf. »Bis gleich.«
    Lisa starrte Sandy hinterher, die aus der Nische verschwand und sich nach rechts wandte, Richtung Kopfende der Halle.
    Günni setzte sich neben sie. »Na, dann wollen wir zwei Hübschen mal ein wenig die Zeit totschlagen.«

26
    »Hierher, Kahlschlag, bei Fuß!« Robsie wartete, bis seine Hündin ihm schwanzwedelnd die Hand geleckt hatte, dann ließ er sie wieder vorauslaufen. Sie war halb Husky, zu einem Viertel Dobermann und noch irgendwas, doch eigentlich ein riesiger Schisser. Da dies aber niemand wusste, hinterließ sie auf Fremde oft genug einen einschüchternden Eindruck. Das konnte hilfreich sein.
    Robsie blickte zu dem seit Jahren verlassenen Fabrikgelände hinüber und fragte sich, warum sich der Besitzer nicht darum kümmerte. Es verfiel langsam, genau wie der verlassene Freizeitpark im Spreewald. Wenn man es schon nicht renovieren wollte, könnte man es doch wenigstens abreißen und Wohnhäuser oder Bürogebäude errichten. Nein, hier vermoderte alles, und in Friedrichshain war das wichtige alternative soziokulturelle Zentrum RAW-Tempel vom Abriss bedroht, weil der Eigentümer des Geländes genau dort Bürogebäude errichten wollte. Warum konnte da kein Lokalpolitiker vermitteln? Das Gelände hier brauchte doch niemand, man könnte auch hier bauen. Schulterzuckend schlenderte er an dem überwucherten Zaun entlang. Außerdem konnte man die Straße hier auch mal ausbessern, jeden Winter kamen neue Schlaglöcher hinzu, sprengte das Eis weitere Risse in den Asphalt.
    Nachts ging immer er mit Kahlschlag raus, wenn sie noch mal musste, weil Anne Angst hatte, hier allein entlangzugehen. Bei Neubauten und ordentlichen Laternen wäre das anders, und Anne war sicher nicht die einzige Frau, der es so ging. Er war ja selbst froh, dass er einen großen Hund dabeihatte, Schisser oder nicht, denn die zugewachsenen Lagerhallen waren sogar ihm ein wenig unheimlich. Selbst Kahlschlag setzte ihre Duftmarken immer auf der anderen Straßenseite. Der Vorteil dieser Strecke war aber, dass hier nachts kaum jemand vorbeikam, und er konnte Kahlschlag ohne Leine laufen lassen.
    Sie war ein paar Meter vor ihm und umkreiste etwas, das auf der Straße lag, die schnüffelnde Schnauze direkt am Asphalt. Wahrscheinlich Dreck oder einen toten Vogel, den sie gleich runterschlucken würde.
    »Kahlschlag! Lass das!«, rief er und pfiff. »Hey!«
    Kahlschlag sah ihn an, ging aber nicht weiter. Sie stapfte mit den Vorderpfoten auf.
    »Was denn?«, fragte er und beschleunigte seinen Schritt. Als er zu ihr aufgeschlossen hatte, erkannte er zwei weiße Turnschuhe, die mitten auf der Straße lagen. Einen Socken entdeckte er anderthalb Meter weiter Richtung Eingangstor des Firmengeländes.
    Misstrauisch blickte Robsie auf das Gelände. Dort rührte sich nichts, es lag still und verlassen da wie jede Nacht.
    »Hallo?«
    Niemand reagierte.
    Kahlschlag schnüffelte wieder am Boden herum, machte zwei Schritte auf das Gelände zu, kläffte. Den Schwanz hatte sie zwischen die Beine geklemmt, sie war wirklich ein Schisser. Noch einen Schritt traute sie sich weiter, bellte erneut und hüpfte dann wieder zurück.
    »Ruhig, Kahlschlag, ganz ruhig«, sagte er und griff mit der Rechten nach dem Halsband. Lauter rief er: »Hallo! Ist da wer?«
    Doch noch immer regte sich nichts. Die überwucherten Lagerhallen kauerten weiter als dunkle Schatten in der Nacht, nichts war zu hören oder zu sehen. Sie waren einfach verlassen. Was sollte hier schon passieren?
    Er durfte sich von Annes Ängstlichkeit nicht anstecken lassen. Wieso sollte sich ein Opfer Schuhe und Socken ausziehen und sie mitten auf der Straße liegen lassen, bevor es sich im Gestrüpp vergewaltigen ließ? Das ergab doch keinen Sinn. Eine zerrissene Strumpfhose oder ein blutiger Rock, das wäre was anderes. Aber Turnschuhe?
    Viel eher hatte sie jemand verloren, sie waren aus dem Radkorb gefallen oder so. Vielleicht hatte auch ein Betrunkener im Suff beschlossen, barfuß zu laufen wäre das größte Glück der Welt, oder irgendwer hatte jemandem einen Streich gespielt.
    Robsie hob die Schuhe auf. Größe 38, irgendeine Billigmarke, im linken steckte der zweite Socken. Bestimmt hatte sie jemand verloren, eine Frau. Wenn er sie auf der Straße liegen

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