Gebissen
in die Pfanne, nur weil er während der langweiligen Nachtschicht eine kleine Nummer schiebt.«
»Aber was, wenn er seinen Kollegen hasst? Oder der Kollege, mit dem du zugange bist, ist mit seiner Schwester verheiratet?« Alex merkte, dass er Unsinn plapperte, einfach weil er nervös war. Das war nicht seine Art, aber vielleicht hatte er zu viel Kaffee intus. Sein Herz schlug viel zu schnell.
»Das Risiko müssen wir wohl eingehen. Aber wahrscheinlich schlägt er auch dann nicht Alarm, sondern holt sich erst einen runter. Keine Angst, ich wirke auch auf einem Monitor.«
»Und wenn es gar kein Er ist, sondern eine Sie? Am besten so eine überkorrekte?«
»Ich hatte auch schon Sex mit Frauen.« Sie kratzte sich mit dem Fingernagel Lippenstiftspuren vom oberen Schneidezahn, die dank eines Schlaglochs dort gelandet waren, und ihre Augen blitzten ihn herausfordernd an. Er versuchte, nicht an Sex zu denken. Das Letzte, was sie jetzt brauchen konnten, war eine wilde Rammelei, bei der sie ein Taxi zerlegten und den Fahrer so erschreckten, dass dieser das Auto an eine Laterne oder in den Gegenverkehr lenkte. Kurz blickte er zum Fahrer nach vorn, ob dieser wirklich nichts von ihrem Gespräch verstand. Wenn, dann ließ er sich nichts anmerken, er blickte stur durch die Windschutzscheibe hinaus.
Irgendwo heulte eine Sirene.
»Wenn wir von Blutvätern aus der Erde zu dem gemacht werden, was wir sind, woher kommt dann ihr Nephilim? Seid ihr wirklich die Frucht aus der Liaison von Göttersöhnen mit menschlichen Frauen, wie es in der Bibel heißt?«, fragte Alex, um das Thema zu wechseln. Er war zu unruhig, um einfach in die Nacht zu starren, und tippte mit beiden Füßen im Takt des dämlichen Schlagers aus dem Radio.
»Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, wer mein Vater ist. Meine Mutter war ein einfacher Mensch, ja.« Sie sah aus dem Fenster, direkt an Alex vorbei, das Gesicht wie gemeißelt.
»Und sie hat nie über ihn gesprochen?«, bohrte er nach. Seine Lippen berührten fast ihr Ohr, doch ihre Gesichter waren zu ernst, als dass man sie für ein turtelndes Paar hätte halten können.
»Nein. Meine nicht. Sie war verheiratet, und ich habe erst mit dreizehn oder vierzehn erfahren, dass ich nicht die Tochter ihres Mannes war. Da hatte ich bereits herausgefunden, wie man ihn und alle Jungs im Dorf um den Finger wickelt, einen nach dem anderen, und wurde schließlich als Schlampe davongejagt.« Auch wenn sich noch immer kaum eine Regung auf dem glatten makellosen Gesicht zeigte, in ihren Augen schimmerten nun Trauer und Wut. Alex konnte nur ahnen, wie sehr sie die Geschichte tatsächlich mitgenommen hatte, noch Jahrtausende später schwelte sie unsichtbar in ihr, verdeckt von einer Maske aus überirdischer Schönheit. Ihre Stimme zitterte nicht, doch in ihr schwang eine kriechende Kälte wie hartes Eis mit, die ihm unter die Haut kroch. Daran änderte auch ihr Bemühen um einen lockeren Tonfall nichts.
Der Taxifahrer warf einen kurzen missmutigen Blick in den Rückspiegel, sagte jedoch nichts. Sollte er doch gaffen, wie er wollte. Sie flüsterten nur, sie kotzten ihm nicht den Wagen voll.
»Und dann? Hast du ihn nicht gesucht?«, wollte Alex wissen.
»Natürlich. Vor allem später, als ich endgültig merkte, dass ich kein normaler Mensch war, dass ich nicht alterte wie alle um mich herum, dass ich irgendwann keinen Schlaf mehr brauchte. Ich habe meinen Vater gesucht, wie es alle Nephilim tun. In der Bibel werden wir von Göttersöhnen gezeugt, in anderen Mythen zeugen zahlreiche Götter Nachfahren mit Menschen, und auch in Troja, Babylon und dem Athener Umland wurden Nephilim geboren, überall, auf jedem Kontinent. Zeus ist wahrscheinlich der größte Casanova der Antike gewesen, wenn auch nur die Hälfte von dem stimmt, was ihm nachgesagt wird. Aber keines seiner angeblichen Kinder weiß wirklich, ob es von ihm abstammt, ob er wirklich existiert hat.
Ich habe in Tempeln gesucht und an jedem heiligen Ort, von dem ich gehört habe. Ich habe mit Menschen gesprochen, die die Stimme Gottes vernommen haben wollen, ich habe mit Priestern und Eremiten geredet, habe angebliche Eingänge zur Unterwelt aufgesucht und zahlreiche Schamanen. Ich war vor Alexander in Indien, und das zu Fuß, aber gebracht hat es nichts. Jeder Mythos behauptet, dass etwas Göttliches oder wenigstens etwas von einem Engel in uns steckt. Aber ich habe auf der ganzen Welt kein göttliches Wesen gefunden, nicht eine Spur davon, außer mir selbst und
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