Geboren im KZ: Sieben Mütter, sieben Kinder und das Wunder von Kaufering I (German Edition)
Sachen in einfache weiße Bettlaken. Trotz des bevorstehenden Sommers hat Eva wie die meisten Menschen einen warmen Mantel an, denn wer weiß, der Osten soll sehr kalt sein, und zu viel Gepäck darf man ohnehin nicht mitnehmen. Gespenstische Stille hängt über den menschenleeren Straßen einer Stadt, die man einst wegen ihrer vielen jüdischen Bürger «das kleine Palästina» nannte, als die bewaffneten Gendarmen 3000 Juden zum Bahnhof treiben. Ein letzter Blick auf die niedrigen Häuser von Dunajská Streda, das Eva in zwei Jahren zur Heimat geworden ist, schon sind sie da. Ein langer Güterzug steht bereit. 70 Menschen pro Waggon sind vorgesehen, aber die Gendarmen pferchen immer neue in die überfüllten Waggons hinein. In dem Chaos versucht jeder, bei seiner Familie zu bleiben. Mütter drücken ihre Säuglinge fest an ihre Brust, Geschwister halten sich an den Händen, Jüngere helfen den Älteren beim Einsteigen. Die metallenen Riegel und Schlösser an den Türen schnappen klirrend ineinander. So hört sich also das Unheil an. Drinnen ist es ganz finster. Gott sei Dank findet Géza einen Platz an der Wand für Eva, Ida, für sich, seine Eltern und Schwestern. Mit angezogenen Knien sitzt Eva in der Menge und kann vor Angst nicht reden. Dann fährt der Zug ruckelnd an. «Keiner von uns ahnte, wohin wir fahren. Wir wussten nur, dass wir in ein Arbeitslager kommen.» Schon nach einigen Stunden Fahrt wird es furchtbar heiß. Luft kommt nur durch das einzige kleine, vergitterte Fenster herein, aus dem man nicht einmal hinausschauen kann. Im Güterwaggon gibt es nur einen Eimer, der als Toilette dient. Der Gestank ist unerträglich. Einige versuchen, das Gitter vor dem kleinen Fenster abzureißen, doch es ist viel zu hoch angebracht. Die Menschen werden vor Durst fast wahnsinnig. Immer wieder fleht jemand laut um Wasser, verzweifelt versuchen die Mütter, ihre weinenden Kinder zu beruhigen. Je länger die Fahrt dauert, desto leiser werden die Klagen. Nur ab und zu hört man das Stöhnen der Kranken und Alten. Einige werden ohnmächtig. Jemand in Evas Nähe flüstert, dass sein Nachbar im Sterben liege.
Deportation der Juden aus Dunajská Streda nach Auschwitz-Birkenau, Juni 1944
Irgendwo auf dem Weg zwischen Dunajská Streda und Auschwitz-Birkenau erzählt Géza seinen Eltern, dass Eva ein Kind von ihm erwartet, und bittet sie um Erlaubnis, sie nach der Rückkehr heiraten zu dürfen. Seine Mutter erschrickt. Schwanger, jetzt, in diesen Zeiten? Was sollen sie bloß machen? Wie kann Eva die harte Arbeit durchstehen, wo soll sie das Kind zur Welt bringen? Gézas Vater schweigt. Nur sein unendlich trauriger Blick lässt erahnen, welche Gedanken ihm in diesem Moment durch den Kopf gehen. Dann seufzt er tief, beugt sich zu Eva hinüber und umarmt sie fest. Diese Geste ist für sie viel wichtiger als alle Worte. Für einen Augenblick vergisst sie sogar ihren quälenden Durst, den Hunger und die Angst. Eine große Last fällt ihr vom Herz. «Ich hatte mich die ganze Zeit so sehr geschämt. Es war damals ja eine Sünde, da wir doch noch nicht verheiratet waren.» Nach zwei Tagen bleibt der Zug in Košice stehen, einer Stadt an der Grenze zur damaligen Slowakei. Der Bahnhof dient als Umschlagplatz für die meisten Deportationstransporte aus Ungarn. Die Türen der verriegelten Waggons öffnen sich plötzlich, durch den engen Spalt strömt frische Luft herein. Endlich bekommen sie etwas Wasser. Jetzt übernehmen deutsche SS-Wachen den Zug, der erst nach einigen Stunden weiterfährt. Das Arbeitslager, in das sie geschickt werden sollen, könne nicht mehr weit sein, versucht Géza sich selbst und die anderen zu beruhigen. Völlig erschöpft schläft Eva an seiner Schulter ein.
In den frühen Morgenstunden wecken sie ungewöhnliche Geräusche. Der Lärm kommt immer näher. Jetzt erst merkt sie, dass es Schreie sind, in die sich Hundegebell mischt. Der Zug steht offenbar schon länger. Sind wir endlich da? Sie freut sich. Nichts kann schlimmer sein als diese Fahrt. Draußen rasseln Ketten, mit einem Ruck werden alle Waggontüren aufgerissen. Männer in gestreiften Uniformen und mit wildem Gesichtsausdruck laufen hin und her. «Alle raus! Schnell, beeilt euch! Lasst eure Sachen im Waggon liegen!», schreien sie auf Deutsch, Jiddisch und Polnisch. Zum Nachdenken oder Fragen bleibt keine Zeit. Die Ersten, die an der Tür sitzen, springen in die Dunkelheit hinaus. Innerhalb weniger Minuten leert sich der ganze Zug, davor reihen
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