Geboren im KZ: Sieben Mütter, sieben Kinder und das Wunder von Kaufering I (German Edition)
Schweizer Zensur es zu, dass über den Massenmord an Juden geschrieben wird. Innerhalb von nur 18 Tagen erscheinen 383 Artikel über Auschwitz. Am 15. Juni, dem Tag, an dem die erste Depesche von Kopecký aus Bern die britische Regierung erreicht, informiert Radio BBC, dass «über die Massenmorde in Birkenau genaueste Berichte in London vorliegen». Am Ende der Sendung spricht der Reporter der BBC eine Warnung aus, die von der deutschen Funkabhör aufmerksam registriert und viele SS-Offiziere in Auschwitz in Angst versetzen wird: «Alle Verantwortlichen für diese Massenmorde, von den Trägern der Befehlsgewalt abwärts bis zu den ausführenden Organen, werden zur Rechenschaft gezogen.» Der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt droht, dass nach dem Krieg «Ungarns Schicksal nicht wie das irgendeiner anderen zivilisierten Nation sein wird». Auch der schwedische König, das Internationale Komitee des Roten Kreuzes und die Regierungen der Türkei, Schweiz und Spaniens verlangen ein sofortiges Ende der Deportationen. Sogar Papst Pius XII., der bislang zum Judenmord geschwiegen hat, fordert in einem Telegramm das ungarische Staatsoberhaupt Miklós Horthy auf, die Juden zu retten. Am 2. Juli greift ein amerikanisches Bombengeschwader Budapest an. Vier Tage später entscheidet Horthy, der sich der ausweglosen militärischen Lage der Achsenmächte nach der Landung der Westalliierten in der Normandie und dem raschen Vormarsch der Roten Armee durchaus bewusst ist, die Deportationen einzustellen. Zu spät. Mit Ausnahme von Budapest gibt es in ganz Ungarn offiziell keine Juden mehr.
Die ablehnende Reaktion der alliierten Regierungen auf sämtliche Appelle von jüdischen Organisationen und vieler Einzelner, die Gaskammern und Krematorien In Birkenau sowie die Eisenbahnschienen zum Todeslager zu bombardieren, gehört zu den tragischsten und folgenreichsten Fehlentscheidungen im Zweiten Weltkrieg. Das vermutlich einzige Mittel, das den Massenmord an den ungarischen Juden hätte aufhalten können, blieb ungenutzt. Das US-Kriegsministerium und das britische Luftfahrtministerium erklärten, die Luftwaffe müsse sich auf militärische Ziele konzentrieren und die wirksamste Hilfe für die Opfer sei ein schneller Sieg über Hitlerdeutschland. Auch die Repräsentanten der jüdischen Organisationen in Budapest verhielten sich in entscheidenden Momenten falsch. Um Zeit zu gewinnen, verhandelten sie mit Eichmann und einigen Offizieren seines Sonderkommandos. Sie hofften, durch Bestechungen die ungarischen Juden retten zu können. Die obersten Vertreter der zionistischen Hilfsorganisation «Vaada» waren vom Erfolg ihrer Verhandlungen mit der SS offenbar so überzeugt, dass sie ihr Wissen über Auschwitz vor der jüdischen Bevölkerung verbargen und keine anderen Maßnahmen für deren Rettung oder für den Widerstand ergriffen. Das erwies sich als tödlicher Irrtum. Sie gingen in die Falle. Denn während sich der stellvertretende Chef von «Vaada», Rezsö Kasztner, und seine Mitarbeiter auf die Gespräche mit den SS-Offizieren konzentrierten und sich über Eichmanns wohl nie ernst gemeintes Angebot «Blut gegen Ware» die Köpfe zerbrachen, trieben die Nationalsozialisten die Deportation der Juden voran. Ende Juni, als Kasztner schließlich die Rettung von 1684 Juden gelang – darunter waren auch seine Familienangehörigen und Freunde, was ihm in Israel in den 1950er-Jahren den Vorwurf der Kollaboration einbrachte –, war der Massenmord an den ungarischen Juden fast abgeschlossen.
Die Welt also hatte die Wahrheit über Auschwitz-Birkenau gekannt, als Evas Transport aus Dunajská Streda am 18. Juni 1944 eintraf. Seit dem 16. Mai bis zur ersten Juliwoche 1944 kamen täglich drei bis vier Züge mit jeweils 12.000 Juden aus Ungarn an. Das größte Vernichtungslager der Nationalsozialisten war auf eine solche Menschenmenge nicht eingestellt. Häftlingskommandos mussten Tag und Nacht arbeiten, um das Lager auf die Ankunft der ungarischen Juden vorzubereiten. Erst Mitte Mai beendete die Zentralbauleitung in großer Eile die Ausladerampe und den Bahnanschluss, der bis ins Lager verlängert wurde. Drei gesonderte Gleise führten jetzt in die unmittelbare Nähe der Krematorien I und III. Die Anlagen reichten bei dem Tempo der Vergasungen nicht aus, deshalb mussten Häftlinge im Freien große Gruben ausheben, in denen die Ermordeten verbrannt wurden. Noch in kilometerweiter Entfernung vom Lager sah man die hohen Flammen, die aus
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