Geboren im KZ: Sieben Mütter, sieben Kinder und das Wunder von Kaufering I (German Edition)
schwer gehen, nach Regenfällen verwandelt sich der Boden in Morast, und bei jedem Schritt versinken sie tief im Schlamm. Dann brennt wieder die Sonne auf sie herunter. Miriam, Erna und Hilda sitzen meistens auf einem schattigen Platz hinter der Baracke, immer auf der Hut, dass kein SS-Wachmann oder Kapo sie überrascht. «Wir beobachteten die Vögel am Himmel. Sie waren so frei und konnten fliegen, wohin sie wollten. Und was wird mit uns passieren? Wann wird das alles ein Ende haben?»
Und dann ist es so weit. Die Frauen erfahren beim Zählappell, dass sie am nächsten Tag in ein anderes Lager gebracht werden sollen. Eva und Miriam freuen sich. Alles ist besser als Auschwitz mit seinen Gaskammern. Aber wie konnten sie auch nur ahnen, dass etwa zur gleichen Zeit, am 21. Juni 1944, Hunderte Kilometer weiter im deutschen Sonthofen Himmler vor Wehrmachtsgenerälen eine Rede hält, in der er das Todesurteil über sie spricht. Der Reichsführer SS macht unmissverständlich klar, warum es nach seiner Überzeugung für das deutsche Volk historisch notwendig ist, nicht nur die jüdischen Männer, sondern auch die Frauen und Kinder zu töten: «(…) Es ist gut, dass wir die Härte hatten, die Juden in unserem Bereich auszurotten. (…) Ein Gedanke, der sicherlich gedacht wird: ‹Ja, wissen Sie, dass wir die Juden umbringen, das verstehe ich völlig, aber wie können Sie Frauen und Kinder?›. Da muss ich Ihnen etwas sagen: Die Kinder werden eines Tages groß werden. Dass dann dieser jüdische Hass, dieser groß gewordene, heute kleine, später groß gewordene Rächer sich an unseren Kindern und Enkelkindern vergreift, dass sie noch einmal das Problem zu lösen haben? Dann aber in der Zeit, wenn kein Adolf Hitler mehr lebt! Nein, das können wir nicht verantworten!» Nach dieser Logik sind auch schwangere Jüdinnen zum Tod verurteilt. Als Mütter der nächsten Generation von «jüdischen Rächern» bedrohen sie die Rasseutopie der Nationalsozialisten. Außerdem gelten sie ohnehin als arbeitsunfähig.
KZ Płaszów, Juli 1944
A uf dem Berg taucht wieder der Schimmelreiter auf. Aber Eva schaut nur einmal hin. Die sengende Sonne hat ihre Kehle ausgetrocknet, ihre Lippen sind aufgesprungen, aber wie gestern, wie an all den Tagen, seitdem sie hier ist, wird sie kein Wasser bekommen. Erschöpft setzt sie einen Fuß vor den anderen und schleppt den schweren Felsbrocken weiter den Berg hinauf. Irgendwo muss Ida sein. Bloß nicht in Panik geraten und die Aufmerksamkeit der Kapos erregen, die mit ihren Peitschen das Arbeitskommando überwachen. Sie wird ihre Schwester am Abend in der Baracke doch sicher finden. Als Eva wieder aufblickt, ist der Lagerkommandant immer noch da. Amon Göth, ein feister, 36 Jahre alter Mann, ist von allen gefürchtet. Er sitzt auf seinem Pferd, neben ihm die schwarz-weiß gefleckte Dogge Rolf. Auf ein Kommando des Reiters springt der Hund plötzlich auf und rennt, Staub aufwirbelnd, auf die arbeitenden Frauen zu. Eva erstarrt. Das Tier fällt ein Mädchen an, reißt es zu Boden und zerfleischt seine Brüste. Evas Herz pocht bis zum Hals. Sie wendet ihr Gesicht ab, auch die anderen Frauen aus Dunajská Streda gehen schweigend weiter. Niemand wagt es, sich um die Sterbende, ein 18 Jahre altes Mädchen aus Košice, zu kümmern. Zweieinhalb Monate später, am 13. September 1944, wird der SS-Untersturmführer Amon Göth während eines Urlaubes in Wien verhaftet, wegen willkürlicher Morde und Unterschlagung vom SS-Reichssicherheitsamt in Berlin seines Postens enthoben und angeklagt. Doch zu einer Verurteilung kommt es noch nicht. Wegen seines schlechten Gesundheitszustandes wird Göth in ein Sanatorium in Bad Tölz gebracht, dort nach Kriegsende von den amerikanischen Ermittlern aufgespürt, an Polen ausgeliefert, wo ihm der Prozess gemacht wird, und am 13. September 1946 in Krakau gehängt. Aber als Eva und Ida Ende Juni 1944 nach zwei endlos erscheinenden Wochen in Birkenau nach Płaszów kommen, ist Göth noch der uneingeschränkte Herrscher. Seine SS-Wachmannschaft, eine 600-köpfige Truppe aus Deutschen, Ukrainern, Wolhynien- und Rumäniendeutschen sowie einigen älteren Wehrmachtsoffizieren, behandelt die hilflosen Menschen mit brutaler Gewalt. Hier, mehr noch als im abgetrennten Depotlager von Birkenau, erfahren Eva und Ida den mörderischen Hass der SS und ihrer Helfer. Sie erkennen, dass es für Juden kein Mitleid gibt.
Zwischen Mai und Juli 1944 wurden mehrere Tausend ungarische Juden
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