Geboren im KZ: Sieben Mütter, sieben Kinder und das Wunder von Kaufering I (German Edition)
Alžbeta Politzer, sie zu umarmen, damit ihr wärmer wird. In dem Moment dreht sich die Aufseherin um und sieht das. Mit dem krummen Stock, den sie immer dabeihat, schlägt sie Alžbeta so stark, dass sie ihr fast den Arm bricht. Sie fällt zu Boden, und ein Schimpfwort entfährt ihrem Mund. Die Frauen erstarren vor Angst. «Dafür werde ich dich ins Gas schicken», sagt die Aufseherin und geht. Sofort versuchen Alžbetas Freundinnen, ihr auf die Beine zu helfen. Sie weint. «Wenn sie mich bloß nehmen würde, damit meine Qual hier ein für alle Mal ein Ende findet.» Nach dem Appell stürzen die Frauen ihr Morgengetränk hinunter und laufen zur Latrine, um sich nicht beim Zählappell zu verspäten. Eva und Ida haben Angst vor der Latrine. Vor einigen Tagen lief Margit Lustig aus Šamorín aufgeregt in die Baracke herein und erzählte, wie ein Mädchen in die tiefe Grube mit den Exkrementen gefallen sei. Sie war zu schwach, um sich festzuhalten. Immer wieder kommt es zu solchen Unfällen. Eine Stunde lang, bis 6 Uhr, müssen die Frauen jeden Morgen beim Zählappell stehen. Dann rückt Evas Kolonne zur Arbeit am Berg aus. Gegen 17 Uhr endet der Arbeitstag, um 18 Uhr ist Abendappell.
Je länger Eva im Lager ist, desto mehr fürchtet sie, dass ihre Schwangerschaft jemandem auffallen könnte. Es ist Ende Juli 1944, und sie ist im vierten Monat schwanger. Wie lange kann sie noch ihren Bauch, der sich zu wölben beginnt, verbergen? Einige Mädchen aus Dunajská Streda wissen bereits, welches Geheimnis sie hütet. Als die Häftlinge neue Kleider erhalten, spannt ihres um den Bauch herum. «Gehe doch zur Aufseherin und frage sie, ob du ein größeres Kleid bekommen könntest», rät ihr eine. Das macht Eva nur einmal. «Sie gab mir eine solche Ohrfeige, dass meine Wange noch Stunden später brannte.» Fortan tauscht Eva ihre Kleider mit einer anderen Gefangenen. Immer wieder findet sich jemand, der ihr hilft und, wann immer es möglich ist, sich vor sie stellt, damit die Kapos und SS-Männer ihren Bauch nicht sehen. Welche Gefahr ihr im Falle einer Entdeckung aber wirklich droht, weiß sie noch nicht.
Die Gaskammern von Birkenau sind die ganze Zeit gefährlich nahe. Die wenigen Babys, die in Płaszów auf die Welt kamen, wurden sofort nach der Geburt getötet. In einer als «Kinderheim» bezeichneten Baracke lebten Anfang des Jahres 1944 noch 294 Kinder. Sie hatten die Liquidierung des Gettos überlebt. Als Evas Transport Ende Juni 1944 eintrifft, sind die meisten aber schon weg. Was genau damals geschah, wissen nur Häftlinge, die schon länger im Lager sind. Am 7. Mai hatte die SS alle Kinder, die jünger als 14 Jahre waren, auf dem Appellplatz zusammengetrieben. Wachen hielten die Erwachsenen mit Maschinenpistolen in Schach, und aus dem Grammofon ertönte ein deutsches Kinderlied. Ohnmächtig mussten die Häftlinge zusehen, wie die kleinen Mädchen und Jungen in bereitgestellte Autos getrieben wurden. Sie sind in Auschwitz-Birkenau vergast worden.
Gott, hilf mir! Was wird aus mir werden? Miriam betet jeden Tag. Anfang Juli wird auch sie in einem Transport nach Płaszów gebracht. Sie erlebt panikartige Anfälle von Angst. Immer wieder spürt sie, dass sich in ihrem Bauch etwas bewegt. Nein, das darf nicht sein. Sie zwingt sich, nicht daran zu denken. Aber es hört nicht auf, und Miriam beginnt zu ahnen, was die seltsamen Bewegungen im Bauch bedeuten. «Ich hatte so schreckliche Angst und fühlte mich so alleine.» Aber vielleicht ist sie ja gar nicht schwanger. Auch andere Frauen haben von der Unterernährung aufgeblähte Bäuche und keine Menstruation mehr. Miriam vertraut sich einer älteren Frau an, und diese bestärkt sie in ihrer schlimmsten Befürchtung. «Ich glaube, du bist schwanger.» Erna, das 17-jährige Mädchen, das sich in ein paar Wochen zu einer mutigen und entschlossenen Frau gewandelt hat, versucht Miriam aufzurichten. Aber ihre große Schwester, denn das ist Miriam für sie, ist verzweifelt. Wie kann sie Freude über ihr Kind empfinden, wenn alle ihre Gedanken um das Essen kreisen? «Ich war so hungrig, jeden Tag so hungrig.» Der Hunger frisst sie von innen auf. Ihre Gefühle, ihre Gedanken, ihr Körper scheinen sich aufzulösen in einem einzigen lautlosen Schrei nach Essen. Ein Stück Brot oder eine Kartoffel, nur daran kann sie jetzt denken. Mutters Gesicht, Bélas Lachen verblassen in ihrer Erinnerung. Ihre Gedanken stumpfen ab. Einmal bringt ein Kapo ein Stück Schweinefleisch. Miriam isst
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