Geboren im KZ: Sieben Mütter, sieben Kinder und das Wunder von Kaufering I (German Edition)
und Massenmörder aus der Haft entlassen. Sie kehren als Spezialisten auf ihre alten Stellen zurück.» Das auf Tschechisch geschriebene Buch «Die Todesfabrik» ist 1957 erschienen. Zwei Jahre davor wurde Clauberg aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft nach Westdeutschland entlassen. Nie zeigte er Reue, im Gegenteil, in einem Zeitungsinterview rühmte er sich sogar seiner Tätigkeit in Auschwitz. Er fühlte sich so sicher, dass er nicht einmal seinen Namen änderte. Als er über eine Zeitungsannonce eine Sekretärin suchte, wurde er von einigen Überlebenden erkannt und angezeigt. Erst nach seiner Festnahme im Herbst 1955 schloss ihn die Ärztekammer aus. Silvia Veselá, die nach dem Krieg in die Slowakei zurückkehrte und dort in den ersten Nachkriegsjahren als Krankenschwester auf einer Tbc-Station arbeitete, sagte in Prag vor der Staatsanwaltschaft gegen Clauberg aus. «Ich war nicht bereit, zu seinem Prozess nach Deutschland zu fahren, weil ich Angst hatte, er könnte jemanden beauftragen, der mich umbringen wird.» Noch vor Beginn der Gerichtsverhandlung, im August 1957, starb der 59-jährige Clauberg überraschend in Untersuchungshaft.
Silvia Veselás Blick wird stechend, mit rauer Stimme sagt sie: «Manchmal glaube ich, dass ich die Menschheit verachte.» Nie würde sie in einer Schule als Zeitzeugin auftreten, niemals. «Warum sollten sich Kinder so etwas Schreckliches anhören? Das kommt nicht infrage.» Kinder sind das Einzige, was sie liebt. Sie steht auf und zeigt auf eines der Fotos, auf dem die zwei Söhne ihrer Cousine abgelichtet sind: «Sehen Sie? Sie können nichts dafür.» Vor einigen Jahren rief bei Silvia eine Frau an, die mit ihr damals kurze Zeit im Block 10 war, dann aber wegging und Häftlingsärztin im Frauenrevier wurde. Margita Schwalbová war gerade dabei, ihre Erinnerungen an Auschwitz mithilfe einer slowakischen Historikerin aufzuschreiben. «Und dann sagte sie plötzlich zu mir am Telefon, sie könne nicht verstehen, warum ich in diesem schrecklichen Block geblieben und nicht wie sie weggegangen sei.» Für einen Moment schweigt Silvia Veselá. Man merkt ihr an, wie sehr sie dieser Vorwurf, den sie sich schon oft anhören musste, beschäftigt. «Ich antwortete ihr, dass ich so wenigstens einigen Frauen helfen konnte.» Die ganze Wahrheit kannte nur Silvia Veselá selbst. Ihre Trauer und ihr Geheimnis hat sie in den Tod mitgenommen, auf den sie schon seit ihrem 17. Lebensjahr gewartet hat.
Fast ein Monat ist es schon her, seitdem Eva und Miriam aus Płaszów wieder nach Auschwitz-Birkenau zurückgebracht worden sind. Wie oft muss Miriam in den letzten Tagen an Heinrich Reichsfeld denken. Sie hätte doch bei ihm in Płaszów bleiben sollen. Die nächste Selektion überlebt sie nicht, davon ist sie überzeugt. Aber dann, am 4. September, erfährt sie während des Zählappells, dass sie am nächsten Tag nach Deutschland gebracht wird. Miriam empfindet fast etwas wie Glück. Sie dankt Gott, ihre Zuversicht kehrt zurück: «Wir werden leben», sagt sie zu ihrem ungeborenen Kind. Der Krieg, so denken die meisten, kann nicht mehr lange dauern. Die Frauen, die zur Sklavenarbeit ausgewählt wurden, marschieren zum Bahnhof von Auschwitz. Der Zug wartet schon. 500 ungarische Jüdinnen steigen ein – darunter auch Miriam und Eva, die sich immer noch nicht kennen, Erna, Hilda und die meisten Frauen aus Dunajská Streda und Umgebung, die zusammen schon in Płaszów waren. Wohin genau der Zug fährt, wissen sie nicht, aber es ist ihnen auch egal. Hauptsache, sie sind weg von Auschwitz, weg von den Selektionen. Es ist der 5. September 1944. Eine der Frauen in Evas Waggon, Margit Lustig, ist voller Optimismus. Noch vor zwei Tagen lag die 22-Jährige mit Gelbsucht im Krankenrevier und wusste nicht, ob sie aus Auschwitz jemals wegkommen würde. Miriam fällt auf, dass die Waggons diesmal nicht mehr verriegelt werden. Auch haben die Frauen mehr Platz zum Sitzen. Liegt das Schlimmste wirklich schon hinter uns? Am selben Tag trifft in Birkenau ein Zug mit 1019 Juden aus Holland ein. Unter den 79 Kindern, die wie die Erwachsenen im Lager Westerbork waren, ist die 14-jährige Anne Frank – jenes Mädchen, dessen Tagebücher nach dem Krieg Millionen von Lesern tief bewegen werden. Sie überlebt Auschwitz, stirbt aber im März 1945 im KZ Bergen-Belsen.
Augsburg, September 1944
I n Miriams Erinnerung ist der Apfel ganz geblieben. Die gelbrote Schale fühlt sich in ihrer Hand glatt und weich an, für
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