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Geboren im KZ: Sieben Mütter, sieben Kinder und das Wunder von Kaufering I (German Edition)

Geboren im KZ: Sieben Mütter, sieben Kinder und das Wunder von Kaufering I (German Edition)

Titel: Geboren im KZ: Sieben Mütter, sieben Kinder und das Wunder von Kaufering I (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Gruberová , Helmut Zeller
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Wasser fließt über ihren Körper und fühlt sich wie purer Luxus an. Die schmutzigen Lumpen und Holzpantoffeln werden weggeworfen. Jede Frau bekommt einen frischen blauweißen Fabrikkittel, eine Schürze, richtige Schuhe und sogar Unterwäsche.
    Doch damit nicht genug. SS-Aufseherinnen zeigen den Frauen die Toiletten, richtige Toiletten mit Spülung, keine Latrinen im Freien, wo man keine Sekunde allein sein kann und ständig aufpassen muss, nicht in die Grube zu fallen. Einige Frauen kreischen vor Freude, umarmen sich, und die Aufseherinnen beobachten sie amüsiert. An den Türen der WC-Kabinen sind Aufschriften angebracht: Nur für Deutsche, für Russen, für Juden. Auch die Toilettenschüsseln sind von den Deutschen rassenideologisch sortiert worden. Danach führen die Aufseherinnen die neuen Arbeitskräfte in einen Saal, zu Tellern mit dampfend heißer Nudelsuppe. Anschließend gibt es Pellkartoffeln in Dillsauce und Bouletten. Wie herrlich das alles schmeckt nach den wässrigen Kohlsuppen und ungenießbaren Brühen in Auschwitz. Wie wohltuend das für einen leeren, vom Hunger geschundenen Magen ist. Die Häftlinge haben ihre Suppe aus kaputten, eingedellten Blechnäpfen schlürfen müssen. Miriam betrachtet den Löffel, die sauberen Porzellanteller, auf denen am Tisch das Essen serviert wird. Sind wir wieder Menschen geworden? Viele Mädchen weinen vor Freude. «Wir sind in Amerika», flüstert die 24-jährige Alžbeta Politzer aus dem südslowakischen Topol’níky ihren Tischnachbarinnen aus Dunajská Streda zu und wischt sich die Tränen aus den Augen. Ihre Freundinnen verstehen den seltsamen Satz. Während der Weltwirtschaftskrise in den 1920er- und 1930er-Jahren wanderten viele arme jüdische Familien auf der Suche nach Arbeit aus der damaligen Tschechoslowakei in die USA aus. Zwar schafften die meisten den Sprung aus der Armut nicht, doch einige brachten es tatsächlich zu einem bescheidenen Wohlstand, manche sogar zu Reichtum. «Amerika» war seitdem ein Synonym für das Paradies.
    Nach dem Essen müssen alle Frauen im Fabrikhof antreten. Fünf SS-Aufseherinnen kontrollieren die Reihen. Ein Mädchen soll übersetzen. «Sie sind jetzt in Deutschland, in den Augsburger Michelwerken», verkündet der Betriebsleiter. Niemand müsse sich fürchten, jede werde anständig behandelt, solange sie ihre Arbeit richtig machten. Ein paar Mädchen sollen in der Fabrik putzen, zehn Frauen kommen in die Häftlingsküche. Dann tritt ein Mann im weißen Kittel auf, der zivile Meister Zerkübel. Er wählt die Arbeitskräfte für die Montage aus. Deutsch müssen sie sprechen, lautet seine Bedingung, und intelligent sein, denn die Arbeit dort sei sehr kompliziert und verantwortungsvoll. Mehrere Mädchen treten vor, und Zerkübel, ein nicht besonders sympathischer Mann mit strengen Gesichtszügen, wählt etwa dreißig von ihnen aus. Auch einige junge Frauen aus dem Dunajská-Streda-Transport sind dabei, darunter die 22-jährige Margit Lustig aus Šamorín und ihre um ein Jahr ältere Schwester Truda. Die Frauen der Montage dürfen in einem eigenen Raum schlafen, und die beiden Schwestern haben es wieder geschafft zusammenzubleiben. An der Rampe von Auschwitz-Birkenau musste Margit ihrer Mutter versprechen, dass sie immer auf die sensible, verträumte Truda aufpassen wird. Mit Geschick, Mut und Glück gelang es ihr, in Auschwitz und in Płaszów den letzten Wunsch ihrer Mutter zu erfüllen. «Die Arbeit in der Montage ist eine schöne Arbeit», verspricht Zerkübel. Die meiste Zeit sitzt er in seinem verglasten Büro und kontrolliert durch das Fenster zur Werkhalle die arbeitenden Frauen. «Ja, und hauptsächlich sauber», fügt Margit am Abend lachend hinzu und streckt ihre schwarzen Hände hoch. Im Sieben-Minuten-Takt montieren die Frauen aus kleinen vorgefertigten Teilen, Drähten und Schrauben am Fließband ein Präzisionsgerät, mit dem die Entfernung zum Ziel und die Zeit bis zur Explosion einer abgeworfenen Bombe gemessen werden. Die Teile dafür werden zuerst in der Dreherei gestanzt, in der Miriam arbeitet. Sie ist eine von etwa zweihundert Frauen, die direkt im Fabrikgebäude der Michelwerke eingesetzt sind und Stecker und Relais für Flugzeuge fertigen. Seit 1927 hat die Messerschmitt AG ihren Hauptsitz in Augsburg. Während des Krieges werden in ihrem Werk unter anderem die Jagdflugzeuge vom Typ Me 109 produziert. Die Arbeit an der großen Maschine ist für die im fünften Monat schwangere Miriam anstrengend, bei

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