Geboren im KZ: Sieben Mütter, sieben Kinder und das Wunder von Kaufering I (German Edition)
Miriam zu treffen, und folgte ihr dann später nach Kanada. «Ich hatte niemanden. Miriams Mutter war für mich wie meine eigene Mutter. Ich wuchs mit ihren Kindern zusammen auf. Sie war eine so gütige Frau. Sie brachte uns bei, den anderen zu helfen.» 18 Monate blieb Erna Klein in Kanada, länger konnte sie die Oberflächlichkeit der säkularen Welt nicht ertragen. Dann ließ sie sich mit ihrem Mann in Bnei Berak nieder und eröffnete ein Geschäft. Von Sonntag bis Freitagmittag bedient sie in ihrem Laden, ein Leben ohne Arbeit, ohne ihre Kundinnen, kann sie sich kaum vorstellen. An den Wänden ihrer Wohnung hängen vergrößerte Fotos ihrer Tochter, ihres Mannes, ihrer drei Brüder, ihrer Schwester und der Enkelkinder. Die meisten dieser Menschen sind tot. Vor ein paar Jahren erst starb ihre bildhübsche Tochter an Krebs. Sie war 40 Jahre alt. Ihren Schmerz kann man in ihrem Blick sehen. Zum Abschied sagt Erna Klein aber mit fester Stimme: «Die Juden haben immer Hoffnung.»
Die Tage vergehen, und niemand weiß, was als Nächstes kommt. Gerüchte über eine baldige Befreiung kommen Eva zu Ohren. Viele behaupten, aus einer sicheren Quelle erfahren zu haben, dass die Russen schon ganz nah seien. Am 25. August 1944 überfliegen amerikanische Aufklärungsflugzeuge mehrmals Auschwitz. Die Piloten haben die Aufgabe, aus einer Höhe von zehn Kilometern das zuvor bombardierte Gelände des Industriekonzerns IG-Farben bei Auschwitz zu fotografieren. Auf den mehrfach vergrößerten Aufnahmen ist das Frauenlager in Birkenau deutlich zu erkennen, auch ein langer Güterzug und etwa 1500 Menschen, die auf dem Weg in die Gaskammern sind. Doch es passiert nichts. Eva und Miriam leben in ständiger Gefahr. Im Allgemeinen schickte die SS jüdische Frauen mit Kindern und schwangere Jüdinnen gleich nach der Ankunft in Birkenau in die Gaskammern. Doch viele Schwangerschaften, vor allem die im Anfangsstadium, konnten die SS-Ärzte an der Rampe nicht gleich entdecken. Im Lager C selektieren die SS-Ärzte Josef Mengele und Heinz Thilo die ungarischen Jüdinnen fast wöchentlich. Nackt müssen sich die Frauen in einer Reihe aufstellen und einzeln vor die SS-Männer treten. Gleich beim ersten Mal wird die 23-jährige Rözsi Kaplansky, die vor Eva steht, zu den Kranken und Schwachen geschickt. Die Frauen aus Dunajská Streda erschrecken. Ihre Freundin ist hochschwanger. Dann ist Eva an der Reihe. Vor Angst ist sie wie gelähmt. Sie ist sich sicher, dass das ihr Ende ist und sie Rözsi gleich folgen wird. «Ich stand nackt vor Mengele. Mit seinen Fingern kniff er mich in die Brüste, vielleicht merkte er, dass sie gewachsen waren, oder er wollte prüfen, ob ich Milch hatte.» Evas Schwangerschaft entdeckt er aber nicht. Der gefürchtete SS-Arzt weiß natürlich von den heimlichen Geburten im Lager. Entband eine Jüdin im Krankenlager oder in der Baracke, wurde das Kind meistens zusammen mit der Mutter getötet. Nur nach Totgeburten durften die Frauen in ihre Baracke zurückkehren. Die Häftlingsärzte des Krankenreviers hatten die strenge Anordnung, jede schwangere Frau und jede Geburt zu melden, wie Olga Lengyel, jüdische Häftlingsärztin aus dem rumänischen Cluj, in ihrem Buch «Five Chimneys» schreibt. In ihrer Verzweiflung entschieden sie und vier andere Häftlingsärzte nach langen Diskussionen, die Neugeborenen zu töten, um so wenigstens das Leben der Mütter zu retten. Sofort nach der Geburt hielten sie den Säuglingen die Nase zu, und wenn sie ihren Mund zum Atmen öffneten, gaben sie ihnen eine Dosis eines tödlichen Medikaments. Eine Injektion hätte den Tod der Babys rascher herbeigeführt. Aber die Ärzte wagten es nicht, Spuren an den kleinen Körpern zu hinterlassen, die von der SS hätten entdeckt werden können. Der Lagerverwaltung meldeten die Häftlingsärzte eine Totgeburt. Später besorgten sie sich ein Medikament, das sie den Frauen injizierten, um eine vorzeitige Geburt einzuleiten. «So machten die Deutschen Mörder aus uns», schreibt Olga Lengyel.
Am 31. Dezember 1944, berichtet sie, entschied die SS, dass die noch lebenden Kinder aus Birkenau verschwinden müssten. Die Gaskammern waren auf Befehl Himmlers bereits zerstört. Die Kinder wurden mit eiskaltem Wasser gewaschen. Danach ließ die SS sie in eisiger Kälte und Schnee fünf Stunden lang Appell stehen. Wer dabei nicht erfror, den trieben die SS-Wachen zurück. Olga Lengyel wird von der Erinnerung an die «kleinen Schneemänner», die in der
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