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Geboren im KZ: Sieben Mütter, sieben Kinder und das Wunder von Kaufering I (German Edition)

Geboren im KZ: Sieben Mütter, sieben Kinder und das Wunder von Kaufering I (German Edition)

Titel: Geboren im KZ: Sieben Mütter, sieben Kinder und das Wunder von Kaufering I (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Gruberová , Helmut Zeller
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der mit dem Röntgengerät umgehen kann. Da sie einige Erfahrung damit hat, zögert sie nicht lange. Gleich nach ihrer Genesung wird sie zum Gynäkologen Clauberg gebracht. Der 44-jährige Experte, klein, dick, schon kahlköpfig und hässlich, wie er ist, erscheint Silvia Friedmann wie eine Karikatur des arischen Herrenmenschen. Aber ihr ist nicht nach Lachen zumute. Clauberg besteht darauf, sein Personal zunächst selbst zu untersuchen. «Viele von uns hat er dabei defloriert. Aber das hat ihn gar nicht interessiert.»
    In zwei Sälen im Obergeschoss des Blocks 10, dessen Fenster zum Hinrichtungsplatz Sichtblenden aus Holzbrettern haben, sind ständig 150 bis 400 Frauen aus verschiedenen Ländern untergebracht. Sie werden «Claubergs Frauen» genannt, sind höchstens 30 Jahre alt, und viele haben bereits eine Entbindung hinter sich. So kann sich der Professor auch ohne Untersuchung sicher sein, dass sie fruchtbar sind. Clauberg führt eine große Injektionsspritze, die Silvia vorbereitet hat, unter dem Vorwand einer gynäkologischen Untersuchung in die Gebärmutter ein. Wenig später spritzt er eine spezielle chemische Flüssigkeit in den Eileiter. Die äußerst schmerzhafte Prozedur wird an jeder Frau über einen Zeitraum von etwa drei Monaten mindestens dreimal wiederholt. Die Substanz verklebt nach einigen Wochen den Eileiter. Die Ergebnisse seiner Versuche kontrolliert Clauberg an Röntgenbildern, die ihm Silvia reicht. Dann füllt sie die Patientenakten aus, verwaltet die Kartei und muss während Claubergs Abwesenheit die Frauen beobachten.
    Die Opfer haben nach den Sterilisierungsversuchen große Schmerzen. Viele bekommen Bauchfellentzündung, leiden an akuten Entzündungen der Gebärmutter, Eileiter und Eierstöcke. Ihre Hilferufe und Schmerzensschreie hört Silvia Friedmann die ganze Nacht über. Heimlich bringt sie den Frauen Schmerzmittel und macht ihnen Umschläge. Etliche sterben oder werden nach Birkenau zurückgebracht und vergast. Nach etwa drei Monaten schickt Clauberg die siebzehnjährige Silvia zu seinem Kollegen, Dr. Horst Schumann. Der ehemalige leitende Arzt der Tötungsanstalt Sonnenstein im sächsischen Pirna nimmt im Block 30 ähnliche Experimente vor. «Ich wusste, was das bedeutet, und hatte geschrien, dass ich mich nicht bestrahlen lasse. Die Helfer von Schumann drohten mir und schlugen mich.» Sie gibt den Widerstand auf, wohlwissend, dass sie keine andere Chance hat, wenn sie am Leben bleiben will. Ihr Unterleib wird zwischen zwei große Röntgenplatten gepresst, die von der Firma Siemens hergestellt und geliefert werden. Nach ein paar Stunden ist das Ergebnis sichtbar. Silvias Haut ist verbrannt, sie muss sich mehrmals übergeben. Zweimal muss sie die Prozedur über sich ergehen lassen. «Clauberg hat zu mir immer wieder gesagt, dass es keinen Zweck hätte, wenn ich mich dagegen wehre. Ich komme ohnehin nicht lebendig aus dem Lager heraus.» Als wichtige Zeugin, die ihn belasten könnte, wollte der Arzt sie töten lassen. Als die Rote Armee vor Auschwitz steht, flieht Clauberg nach Ravensbrück und setzt dort seine Experimente fort. Auch Silvia kommt im Januar 1945 in einem Transport nach Ravensbrück. «Eine Frau warnte mich gleich, dass Clauberg nach mir sucht.» Sie meldet sich für einen Transport nach Neustadt-Glewe und entkommt dem Arzt. Am 2. Mai 1945 wird sie befreit.
    Silvia Veselá spricht regungslos, scheinbar unbeteiligt von den traumatischsten Erlebnissen ihres Lebens und streut sarkastische Bemerkungen in ihre Erzählung des Grauens. Nur ihre Augen, der unsagbar traurige Blick, verraten ihre Qual. Erst seit ein paar Jahren kann sie über Auschwitz sprechen, doch das meiste behält sie für sich. Hier, im Altenheim, will ihr keiner zuhören. Auch ihre Mitbewohner haben Schreckliches erlitten und wollen vergessen. «Ich bin es schon gewöhnt, dass sich die meisten von mir abwenden, wenn ich davon erzähle.» Auf dem kleinen runden Tisch neben dem Ohrensessel, in dem Silvia Veselá sitzt, liegt ein Buch über Auschwitz, geschrieben von zwei bekannten jüdischen Überlebenden aus dem damaligen Protektorat Böhmen und Mähren, Ota Kraus und Erich Kulka. Darin schildern sie auch Claubergs und Schumanns medizinische Versuche im Stammlager und zitieren die Nachkriegsaussagen von Silvia Veselá. Die alte Frau klopft mit einem Finger energisch auf einen Satz, an dessen Ende sie mit einem roten Stift mehrere Ausrufezeichen gesetzt hat. «Die Kriegsverbrecher werden rehabilitiert

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