Geboren im KZ: Sieben Mütter, sieben Kinder und das Wunder von Kaufering I (German Edition)
nicht, was morgen sein wird. Aber hier, unter diesen Frauen, ist sie keine Nummer mehr, sie ist wieder Miriam Rosenthal aus Komárno.
Elisabeta Legmann, die alle Bözsi nennen, ist mit 28 Jahren die Älteste der Frauen. Die etwa 1,60 Meter große, schlanke Frau mit kastanienbraunem Haar und dunklen Augen ist bereits im neunten Monat schwanger und steht kurz vor der Entbindung. Ohne lange nachzudenken, handelt die kluge und ruhige Bözsi von Anfang an wie eine Mutter für Miriam, Eva und die anderen Schwangeren. Das ist sie von zu Hause aus gewöhnt, als ältestes von drei Kindern der Familie eines Notars im siebenbürgischen Cluj hat sie für ihre Geschwister gesorgt. Judit, ihre jüngere Schwester, starb noch vor dem Krieg. 1941 heiratete die Buchhalterin Bözsi den Schokoladenfabrikanten Josif Legmann. Im Frühjahr 1944 wurde sie schwanger. Ihre Freude war nur von kurzer Dauer. Im März 1944 marschierte die deutsche Wehrmacht in Ungarn ein, zu dem seit 1940 auch Bözsis Heimat Siebenbürgen gehörte. Für eine Abtreibung, über die sie schweren Herzens nachdachte, war es schließlich zu spät. Ende Mai mussten sie, ihr jüngerer Bruder Alexander und ihre Mutter ins Getto umziehen und Josif zum militärischen Arbeitsdienst antreten. Anfang Juni wurden die Juden aus Cluj nach Auschwitz-Birkenau deportiert. «Wenn sie dich nach dem Alter fragen, sage nicht die Wahrheit. Und merke dir: Weder bist du alt, noch bin ich schwanger», flüsterte Bözsi ihrer Mutter an der Rampe ins Ohr. Um nicht aufzufallen, presste die junge Frau, die zu dieser Zeit im vierten Monat schwanger war, ihren Bauch mit Stoffbändern zusammen. Ihrem kleinen Bruder Alexander konnte sie nicht helfen, er wurde auf die andere Seite geschickt. Fast zwei Monate blieb Bözsi in Auschwitz-Birkenau, bis sie am 1. August 1944 zusammen mit 1300 für die Zwangsarbeit ausgewählten jüdischen Häftlingen am Bahnhof von Kaufering ankam. Sie durchlief zwei der insgesamt elf Dachauer Außenlager bei Kaufering und Landsberg, ohne dass jemand von den SS-Wachmannschaften ihre Schwangerschaft bemerkte. Wochenlang schaffte sie es, ihren Bauch zu verstecken, indem sie ihre enger werdenden Röcke mit denen anderer Frauen tauschte oder sich schnell zu Boden bückte, wenn ein Aufseher oder Kapo in ihre Nähe kam. Um keinen Verdacht aufkommen zu lassen, meldete sie sich freiwillig für die schwersten Arbeitskommandos, bis Ende Oktober dann doch einem Kapo ihr Zustand auffiel. Der Mann hatte aber Mitleid mit ihr und versetzte sie in die Wäscherei. Von diesem Tag an musste sie zwar nicht mehr draußen in der Kälte arbeiten, doch sie ahnte, dass ihr Geheimnis über kurz oder lang aufgedeckt würde. Und sie sollte recht behalten. Ende November entdeckten SS-Wachen im Lager III ihre Schwangerschaft und brachten sie nach Kaufering I. Die Jagd auf schwangere Jüdinnen sollte sich an diesem Tag für die SS als besonders erfolgreich erweisen. Im Lager waren noch drei weitere Frauen: Dora Löwy, Magda Schwartz und Sara Grün.
Dora aus dem ungarischen Nyírtass ist eine energische junge Frau mit rundem Gesicht, schwarzen Haaren und blauen Augen. Sie ist nur einige Monate jünger als Bözsi und damit die Zweitälteste der Frauen. Wie Miriam und Eva wuchs die gelernte Schneiderin in einer kinderreichen orthodoxen Familie auf, sie hatte sechs Schwestern und vier Brüder. Im April 1944 wurde ihre Familie ins Getto von Nyíregyháza getrieben. Dort heiratete Dora in einer symbolischen Zeremonie – für eine rituelle Hochzeit war es schon zu spät – Miska Pollak. Gleich danach wurde Mishka zum Arbeitsdienst an die Ostfront geschickt, Dora kam am 13. Mai 1944 nach Birkenau. Nur um ein Haar entging sie dort dem Tod. Den SS-Ärzten fiel bei der Selektion auf, dass der Bauch der 28-Jährigen leicht gewölbt war. Sie vermuteten, Dora sei schwanger, und schickten sie zu den Alten, Kranken und Müttern mit Kleinkindern. Aber ihre Schwestern begannen zu schreien, sie wollten, dass Dora bei ihnen blieb. Sie wurde gerettet. Ihrer jüngsten Schwester Hana und den Eltern konnten sie nicht mehr helfen, sie starben in der Gaskammer. Am 1. August 1944 wurden Dora und ihre Schwestern in den Dachauer Außenlagerkomplex Kaufering/Landsberg gebracht.
In dem Zug waren auch Magda Schwartz und Sara Grün. Magda, eine hübsche junge Frau mit blauen Augen und dunkelblonden Haaren, kam 1920 als älteste der vier Töchter von Ignáz und Maria Reich im ungarischen Nyíregyháza auf die Welt.
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