Geboren im KZ: Sieben Mütter, sieben Kinder und das Wunder von Kaufering I (German Edition)
wird. Die SS-Aufseherin aus Leipzig bringt einmal sogar einen selbst gebackenen Strudel in die Küche mit und verteilt ihn unter den Frauen des Küchenkommandos. «Esst schnell, damit die anderen Aufseherinnen es nicht sehen.» Die geschiedene, kinderlose Mittdreißigerin verachtet die anderen Frauen, die im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück ausgebildet wurden. Vor allem kann sie die Oberaufseherin Rosa Leinböck, die die Gefangenen fast täglich ohrfeigt oder mit Füßen tritt, nicht ausstehen. Um ihr Angst einzujagen, befiehlt sie der erschrockenen Alžbeta einmal, Rosa eine tote Ratte vor die Schlafkammertür zu legen. Eva, die jeden Tag still und geduldig auf ihr Essen wartet, tut Kötz leid: «Eure Freundin braucht viel Kraft, denn sie wird bald ein Baby bekommen.» Alžbeta kennt die 20-Jährige aus der Karpatho-Ukraine nur flüchtig und ahnte nicht, dass sie schwanger ist. Wie konnte sie bloß ihre Schwangerschaft so lange verstecken, diskutieren die Frauen in der Küche aufgeregt und schütteln ungläubig den Kopf. Eines Tages kommt Eva nicht mehr. Am Abend stürzt Traudl Kötz zur Küche herein und berichtet, dass Eva weggebracht worden ist. «Aber sie kommt nicht nach Auschwitz, das habe ich gehört», sagt sie den weinenden Frauen. Keine glaubt ihren Worten. Alžbeta ist überzeugt, dass Eva nie mehr zurückkommen wird.
Am Morgen des 30. November, über Nacht ist viel Schnee gefallen, betritt ein SS-Mann die Dreherei. Schweigend geht er umher und sieht sich jede Häftlingsfrau genau an. Dann entdeckt er Miriams Bauch und brüllt sie an: «Du jüdisches Schwein! Was machst du hier? Du kommst zurück nach Auschwitz!» Miriam kann keinen klaren Gedanken mehr fassen. Sie folgt dem Mann widerstandslos. «Mir war schon alles egal.» Sie weiß, dass Auschwitz für sie den Tod in der Gaskammer bedeutet. Die anderen Mädchen sieht sie wie durch einen Schleier. Manche unterbrechen die Arbeit und weinen. «Miriam, was wird mit dir geschehen?» Sie hat aber nur einen Gedanken. «Ich dachte, das ist das Ende.» Zwei Soldaten bringen sie zum Bahnhof. Auf dem Bahnsteig weht ein schneidender Wind. Die 22-Jährige zittert vor Kälte, sie hat keine Strümpfe und trägt nur ein dünnes Kleid. Die Männer lösen für sie einen Fahrschein und stehen mit hochgeschlagenen Mantelkragen neben ihr. Sie sagen kein Wort. Nach endlos scheinenden Minuten fährt ein Personenzug ein. Im warmen Zugabteil löst sich Miriams Erstarrung langsam auf. Jetzt empfindet sie, während sie auf die vorbeiziehenden Dörfer, Wälder und verschneiten Hügeln schaut, fast ein Gefühl von Erlösung, dass nun alles aufhört, die Angst, der Hunger, die ganze Qual vorbei sein werden. Aber Béla? Und das Kind? «Bitte, Gott, hilf mir, hilf mir!»
Im Abteil sitzt eine ältere Frau, die Miriam beobachtet. Als die beiden Soldaten hinausgehen, um zu rauchen, spricht sie Miriam an: «Was haben Sie gemacht?» Miriam antwortet, sie werde nach Auschwitz gebracht, weil sie Jüdin sei. «Wissen Sie nicht, was man dort mit den Juden macht?» Die Deutsche schweigt konsterniert. Dann holt sie aus ihrer Handtasche ein Butterbrot und reicht es Miriam. Auch die anderen Fahrgäste im Abteil starren sie an. «Wie konnte es sein, dass diese Leute nichts von der Judenverfolgung wussten? Ich konnte es kaum glauben.» Miriam ist nicht klar, ob sie das Butterbrot als eine Geste des Mitgefühls verstehen soll oder die Frau mit ihrem Geschenk nur eine unangenehme Konfrontation beenden will. Aber sie macht sich keine weiteren Gedanken mehr darüber, denn der Zug fährt in einen Bahnhof ein. Die Soldaten kommen herein. «Steig aus, wir sind da.» Aber das ist doch nicht Auschwitz, fragt Miriam verblüfft. Einer der beiden Männer sagt: «Du gehst nicht nach Auschwitz, dort sind die Russen und bombardieren.» Aber wo sind wir dann? Auf dem Bahnhofsschild liest sie den Namen der Stadt, den sie noch nie gehört hat: Landsberg am Lech. Sie weiß nicht, welche Bedeutung diese bayerische Kleinstadt für die Nationalsozialisten hat. Nach dem gescheiterten Putsch gegen die bayerische Landesregierung saß Hitler 1924 hier in Festungshaft und schrieb am ersten Teil seines Buches «Mein Kampf». Was Miriam auch nicht wissen kann: Auschwitz ist nicht von den Russen bombardiert worden, wie ihr die Soldaten sagten. Das Vorrücken der Roten Armee hat die SS-Führung aber gezwungen, die Spuren ihrer Verbrechen zu verwischen und Beweise zu vernichten. Entsprechend einem Befehl Himmlers wurden
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