Geboren im KZ: Sieben Mütter, sieben Kinder und das Wunder von Kaufering I (German Edition)
mit den Füßen gegen ihre Bauchdecke stößt. Die Lebenszeichen ihres Ungeborenen erwecken in Eva gemischte Gefühle. «Ich war glücklich, denn ich wusste, dass es meinem Baby gut ging.» Aber was ist, wenn die SS-Männer sie finden? Welches Schicksal erwartet sie und ihr Kind nach der Entbindung? Seit zwei Wochen liegt sie schon in einem Raum, der in der Fabrik als Krankenzimmer dient. In sieben bis acht Wochen, sagte ihr die deutsche Betriebsärztin bei der Untersuchung, ist es so weit. «Ich weiß nicht mehr, wer es befohlen hatte oder wie es dazu kam, dass ich in das Krankenrevier kam. Ich erinnere mich nur, dass ich nicht mehr arbeiten musste.» Je näher der Tag der Geburt rückt, desto mehr wächst die Angst. Ida, die manchmal heimlich zu Besuch kommt, bringt eine schlechte Nachricht.
Im Oktober ist ein neuer SS-Offizier aus dem Stammlager Dachau in die Fabrik gekommen. «Warum war hier alles erlaubt?», brüllt er, nachdem er sich mit den Verhältnissen in diesem Außenlager vertraut gemacht hat. Das Leben der Gefangenen verändert sich sofort spürbar. Vorbei sind die relativ unbeschwerten Tage der ersten Wochen, in denen die Frauen jedenfalls nicht misshandelt wurden. Angst geht wieder um. Der SS-Oberscharführer droht jeden Tag: «Wenn ihr nicht gut arbeitet, müsst ihr zurück nach Auschwitz.» Auch die Soldaten und die meisten SS-Aufseherinnen verändern sich, behandeln die Jüdinnen mit Verachtung und herrschen sie bei jeder Gelegenheit an. «Los, los!», treiben die Aufseherinnen die Frauen zu immer schnellerer Arbeit an. Eine von ihnen geht nie an den Betten vorbei, ohne sich ein Opfer auszusuchen, dem sie dann mit voller Kraft in den Rücken tritt. Gespräche und gegenseitige Besuche nach dem Abendessen sind jetzt verboten, um 21 Uhr muss jede Frau in ihrem Bett liegen. Das aber ist noch nicht das Schlimmste. Das Essen, das die Gefangenen jetzt bekommen, hat nichts zu tun mit dem der ersten Tage. Jeden Mittag gibt es einen geschmacklosen Brei. Fröstelnd steht Miriam in der Schlange vor dem kleinen Häuschen, in dem die Häftlingsküche eingerichtet wurde. Die Bäume vor dem Fabrikgebäude sind längst kahl, und das Laub liegt unter einer dünnen Schneedecke. Ein eisiger Wind, Vorbote eines harten Winters, weht durch den Fabrikhof. Miriam ist ungeduldig, in der fortgeschrittenen Schwangerschaft kann sie den Hunger kaum mehr ertragen. Wenn sie sich nur einmal satt essen könnte. «Ich habe die anderen gebeten, bitte, bitte, gebt mir ein bisschen Brot, ein bisschen. Ich bekomme ein Kind.» Aber die meisten sind selbst ausgehungert. Nur wenige lassen sich erweichen und geben Miriam von ihrer kargen Ration etwas ab.
Alžbeta Politzer ist eine der zehn Frauen, die in der Häftlingsküche arbeiten. Jeden Tag holt die großgewachsene und immer ernste Alžbeta Brennnesseln und Rüben aus dem Keller, schneidet sie in kleine Stücke und wirft sie zusammen mit Graupen in einen Topf mit kochendem Wasser. Auch die Reste der Mittagsmahlzeit der SS-Wachmannschaft fügt sie hinzu, damit der Eintopf etwas dicker wird. Dann verteilen die Frauen den Brei in weiße Schalen, die Alžbeta durch ein schmales Fenster jeder Wartenden reicht. Zum Frühstück gibt es eine Tasse Tee und eine halbe Scheibe Brot, auf die das Küchenkommando ein Stück Margarine streicht. Essen dürfen die Jüdinnen jetzt nicht mehr im Speisesaal – dort haben nur noch Zivilarbeiter Zutritt –, sie müssen ihre Mahlzeit auf den Betten einnehmen. Diejenigen, die in den K. U. K. A-Werken in Nachtschicht arbeiten, bekommen ihr Mittagessen erst nach Mitternacht, denn tagsüber sollen sie schlafen. Zwei Häftlingsfrauen aus der Küche bringen es ihnen zum Arbeitsplatz. Die Portionen werden immer kleiner und reichen nicht aus, um den Hunger zu stillen. Die Mädchen verlassen jeden Morgen noch in der Dunkelheit die Fabrik und ziehen frierend an kleinen Häusern mit rauchenden Kaminen vorbei. Manchen gelingt es, unterwegs Kartoffelschalen aufzuklauben, die von den Augsburgern für die Vögel verstreut wurden.
Jeden Tag um zwölf kommt auch Eva vom Krankenzimmer herunter und reiht sich in die lange Schlange vor der Häftlingsküche ein. Erst viele Jahre nach dem Krieg soll sie erfahren, welches Glück sie damals hatte. Auf Befehl der Aufseherin Traudl Kötz, die ihr Verhalten nicht verändert hat, gibt Alžbeta der hochschwangeren Eva täglich eine Extraportion Kartoffelbrei, in den sie ein Stück Margarine untermischt, damit der Brei nahrhafter
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