Geboren im KZ: Sieben Mütter, sieben Kinder und das Wunder von Kaufering I (German Edition)
die Frauen alleine. Kurz danach bringt sie einen anderen Ofen. «Eure Babys müssen es warm haben.» Miriam wird nie erfahren, was Luba dazu getrieben hat, ihnen so tapfer zu helfen.
Dann geschieht etwas ganz Unerwartetes. In einer Nacht bringt David einen SS-Mann mit, den die sieben Frauen vorher noch nie gesehen haben. Er will sie sprechen. Der Blick des Deutschen ist fahrig, er schaut die verblüfften Frauen nicht direkt an, wirkt nervös, fast ängstlich. Keine Spur mehr von der Verachtung oder dem Hass, mit denen seinesgleichen die Juden behandeln. «Ich bin ein SS-Offizier, aber kein Unmensch», sagt er leise. «Ich weiß, dass ich sterben werde, die Amerikaner sind schon sehr nahe. Aber ich will euch helfen, auch ich habe zu Hause Kinder.» Der Mann öffnet seinen Mantel und holt Brot, Windeln, Milch und Seife heraus. Fast weckt er in Miriam Mitleid. «Er kam noch einige Male zu uns.» Miriam ahnt zunächst noch nicht einmal, dass dieser anonyme Helfer kein gewöhnlicher SS-Mann ist. Er ist der neue KZ-Lagerführer von Kaufering I.
«Mein Vater war ein guter Mensch»
Vom 6. bis zum 11. Februar 1947 verhandelt ein US-amerikanisches Militärgericht im Internierungslager Dachau in einem Nachfolgeverfahren zu dem Dachauer Hauptprozess vom Winter 1945 gegen Georg Deffner. Der ehemalige Hauptscharführer hatte vom 6. Februar 1945 bis Kriegsende das Kauferinger Lager I geführt. Unter den Entlastungszeugnissen befindet sich auch eine handschriftliche eidesstattliche Erklärung, verfasst am 9. September 1945 im bayerischen DP-Hospital St. Ottilien. Sie trägt die Unterschrift von Bözsi Legmann: «Die Frau des ehemaligen Lagerführers, Herrn Hauptscharführers Deffner, hat mich gebeten, eine Beurteilung über ihren Gatten zu schreiben. Ende November 1944 wurden wir sieben Frauen ins Lager I Kaufering geschickt, wo wir unsere Kinder geboren haben und wo wir uns bis Ende April 1945 befanden. Hier hatten wir die Gelegenheit, Deffner persönlich kennenzulernen. (…) Der Lagerführer Deffner hat uns die wichtigsten Sachen, Kinderpuder, Salbe, Lappen und warme Kleider für uns und unsere Kinder aus der Kammer gestohlen (…) Einem von den Kindern, deren Mutter keine Muttermilch hatte, hatte Deffner mehr als 50 Dosen Nestlé konzentrierte Milch von den Rotkreuzpäckchen besorgt (…)» Am Ende des Briefes bittet Bözsi im Namen der sieben Frauen und Kinder um «eine leichte Beurteilung, möglichst Freilassung» Deffners, der zu dieser Zeit im Internierungslager Dachau auf seinen Prozess wartet. Eine weitere jüdische Überlebende von Kaufering I, Schifra Noek aus Litauen, bestätigt, dass Deffner den sieben Wöchnerinnen und Kindern «viel Aufmerksamkeit schenkte» und sie sogar vor dem Lagerarzt Dr. Blancke beschützte, als dieser versuchte, ihnen die mitgebrachten Sachen wegzunehmen. «Ich kenne keinen zweiten SS-Mann außer Deffner, der uns so gut behandelt hat», schreibt die ehemalige Häftlingskrankenschwester in ihrer eidesstattlichen Erklärung.
Ein KZ-Lagerführer als Wohltäter? «In der gleichen Zeit, als er den sieben Müttern und ihren Kindern Lebensmittel brachte, starben auf der anderen Seite des Lagers Männer an Hunger», sagt heute Eta Goz aus Tel Aviv, die sich an den Lagerführer gut erinnern kann. Wer war also Georg Deffner wirklich?
Der Friedhof in Leitershofen, einem Ortsteil Stadtbergens bei Augsburg, unterscheidet sich kaum von den Friedhöfen anderer bayerischer Kleinstädte. Am Eingang steht eine Kirche, daneben reihen sich gepflegte Gräber, dekoriert mit frischen Blumen und brennenden Grablichtern. Die letzte Ruhestätte des SS-Hauptscharführers Georg Deffner und seiner Frau Josefa ist schon von der Straße aus gut zu sehen. Ein großes schwarzes Marmorkreuz auf dem Grabstein weist den Weg zu dem Familiengrab. «Barmherziger Jesus, gib ihm die ewige Ruhe!», steht auf dem noch erhaltenen Sterbebild mit einem Foto Georg Deffners, der am 6. Februar 1987, fast auf den Tag genau acht Jahre vor seiner Frau Josefa, gestorben ist. Die beiden, so viel scheint festzustehen, waren gläubige Katholiken. Das hinderte Deffner nicht daran, zwölf Jahre lang in der Waffen-SS gewesen zu sein, der Organisation, die für den millionenfachen Mord in den deutschen Vernichtungs- und Konzentrationslagern und zahlreiche Kriegsverbrechen in den besetzten Ländern verantwortlich war. Aber wer hätte in der Gemeinde nach 1945 schon daran rühren wollen. Am Beispiel Deffners lässt sich der Umgang
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