Geboren im KZ: Sieben Mütter, sieben Kinder und das Wunder von Kaufering I (German Edition)
Anweisungen an den Klerus der Erzdiözese München schrieb, worum es der Kirche ging: «Man hat wochenlang Vertreter von amerikanischen Zeitungen und amerikanische Soldaten nach Dachau gebracht und die Schreckensbilder von dort in Lichtbildern und Filmen festgehalten, um der ganzen Welt bis zum letzten Negerdorf die Schmach und Schande des deutschen Volkes vor Augen zu stellen.» Statt für die überlebenden und traumatisierten Opfer zeigten viele kirchliche Würdenträger mehr Mitleid mit den Nazitätern, besorgten Alibis und falsche Papiere, leisteten Fluchthilfe, organisierten juristischen Beistand und bezogen öffentlich Stellung gegen die alliierte «Siegerjustiz».
Der neue Münchner Weihbischof Johannes Neuhäusler spricht im September 1947 in einem Radiointerview, das erst nach seinem Tod in der Münchner Katholischen Zeitung veröffentlicht wird, im Zusammenhang mit den Prozessen in Nürnberg und Dachau ganz offen von «Berufszeugen», die dort aussagten und ihm Bedenken bereiteten. So versucht der ehemalige Dachauer Häftling Neuhäusler die Aussagen ehemaliger KZ-Häftlinge zu erschüttern. «In welcher Eigenschaft sind sie im KZ gewesen, vielleicht als ‹Berufsverbrecher›? (…) Wie viel Geld bekamen sie täglich und wie viele Zigaretten?», fragt der Bischof. Geschickt lenkt Neuhäusler den Blick ausschließlich auf ehemalige Kapos im Zeugenstand, von denen sich mehrere in der Tat Verbrechen schuldig gemacht haben – im KZ-System der Nazis. So macht der Bischof aus Opfern pauschal Täter. 1949 gründen Neuhäusler und der evangelische Altbischof Theofil Wurm die «Christliche Gefangenenhilfe», die sich um die «Opfer der Siegerjustiz» kümmert. Die christliche Barmherzigkeit der Bischöfe gilt auch Massenmördern wie dem SS-Standartenführer Paul Blobel, der im Gefängnis Landsberg auf seine Hinrichtung wartet. Im September 1941 hatten Blobels Männer in der Kiewer Schlucht Babi Jar in zwei Tagen mehr als 33.000 Juden erschossen. Weihbischof Neuhäusler legt scharfen Protest ein, wenn es um die religiösen Gefühle der inhaftierten Kriegsverbrecher geht. «Eine solche Missachtung und Verletzung eines bei den christlichen Konfessionen heiligen Brauches» habe er nicht einmal im KZ erlebt, zitiert Ernst Klee in seinem bereits erwähnten Buch aus Neuhäuslers Schreiben an General Clay, nachdem der amerikanische Gefängnisdirektor am 2. Dezember 1948 den Adventskranz aus dem Speisesaal des Landsberger Gefängnisses hatte entfernen lassen. Zu diesem Zeitpunkt ist Deffner schon aus der Haft in Landsberg entlassen, wo er einigen Quellen zufolge – andere sprechen von einem französischen Gefängnis – nach seiner Verurteilung den Rest seiner Strafe verbüßen musste.
Die Strafe fiel gering aus. Vor dem Militärgericht 1947 entlasten Deffner auch sechs ehemalige polnische Häftlinge des Dachauer Außenlagers Kempten, die ihn in einem Brief als «menschlich und korrekt» beschreiben. Im August 1943 hatte er als Lagerführer das neu errichtete Außenlager mit etwa 500 männlichen Häftlingen aus verschiedenen Ländern übernommen. Deffner selbst sagt im Prozess aus, er habe die Kapos in Kempten aufgefordert, Häftlinge nicht zu schlagen. Es kommen aber auch andere Zeugenaussagen zur Sprache, die das Bild des «humanen Lagerführers», um das Deffner und seine Frau so bemüht sind, trüben. Während seiner Zeit seien die Gefangenen misshandelt worden. Deffner habe selbst mehrere Male Häftlinge geschlagen oder sie nach Dachau zur Bestrafung geschickt. Ein ehemaliger SS-Mann, der später im KZ Dachau inhaftiert wurde, sagt vor Gericht aus, er habe den Angeklagten «mehrere Male auf dem Schießplatz in Uniform des Exekutionskommandos» gesehen. Deffner gibt zu, dass er bei «zwei Exekutionen russischer Partisanen» anwesend war und die Särge der Hingerichteten aufgeladen habe. Doch er selbst habe die Häftlinge nur «manchmal» wegen Vergehen wie Diebstahl geohrfeigt. Die Misshandlung von Häftlingen habe nicht er angeordnet, sondern seine Vorgesetzten im Stammlager, die im ersten Dachauer Prozess bereits zum Tod durch den Strang verurteilt worden waren. Die Ausrede, man habe nur Befehle befolgt, war für die Angeklagten typisch. Ganz so, als ob Hitler, Heydrich und Himmler am Ende ganz allein die Kriegsverbrechen begangen und sechs Millionen Juden umgebracht hätten.
Im April 1944 erklimmt Deffner eine weitere Stufe auf der SS-Karriereleiter und übernimmt als Lagerführer das Dachauer Außenlager
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