Geboren im KZ: Sieben Mütter, sieben Kinder und das Wunder von Kaufering I (German Edition)
Kottern. Fast 750 Häftlinge müssen dort bei den Messerschmittwerken und in den Werkstätten für Panzer- und Kriegsfahrzeugbau Zwangsarbeit leisten. Drei Monate vor Kriegsende, am 6. Februar 1945, kommt Deffner schließlich nach Kaufering I und bleibt dort bis zur Auflösung des Lagers. Das Außenlager mit mehr als 2500 Häftlingen soll die letzte Station in der zwölfjährigen SS-Karriere Georg Deffners sein, die am 22. März 1933 mit seinem Beitritt zur allgemeinen SS in Augsburg begann. Bevor der damals 23-jährige Deffner dem Wachdienst im KZ Dachau zugeteilt wurde, durchlief er die berüchtigte «Dachauer Schule». In der mehrwöchigen Ausbildung lernten die SS-Männer, systematisch Gewalt an Häftlingen auszuüben, Demütigung, Folter und Mord als «normal» zu betrachten und den Gefangenen gegenüber niemals Mitleid oder Toleranz zu zeigen. Die Häftlingsgruppe, die von Anfang an am stärksten der Grausamkeit der SS ausgesetzt war, waren deutsche, später ausländische Juden. An ihnen konnten die SS-Männer als überzeugte Nazis nun ihre antisemitische Weltanschauung in die gewaltsame Praxis umsetzen. Schon 1933, während der ersten Wochen der SS-Herrschaft im KZ Dachau, waren die meisten der Ermordeten Juden. Am Ende seiner SS-Karriere übernimmt Georg Deffner ausgerechnet ein großes «Judenlager der Organisation Todt». Mit seinen 35 Jahren zählt der SS-Hauptscharführer, der 1910 im schwäbischen Violau als zehntes Kind in der Familie eines Bauern auf die Welt kam und nie eine Ausbildung erhalten hatte, bereits zu den Veteranen des KZ-Systems. Das Lager I untersteht zu dieser Zeit wie alle Kauferinger Lager dem früheren Lagerkommandanten von Mittelbau- Frauenrevier wurde. Margita Schwalbová Dora, SS-Sturmbannführer Otto Förschner. Als Rapportführer ist der berüchtigte SS-Scharführer Wilhelm Tempel eingesetzt, ein Mann mit Erfahrungen aus den Vernichtungslagern Majdanek und Auschwitz. Auch einige weitere Männer des SS-Wachpersonals sind vor ihrer Versetzung nach Kaufering in Vernichtungslagern tätig, mit dem Völkermord an den europäischen Juden also schon vertraut gewesen. Die Verhältnisse in Deffners letztem Lager sind grauenhaft. Täglich sterben auf der Baustelle und im Lager Häftlinge an Hunger, Kälte, Krankheiten und Erschöpfung. Die Menschen sind brutalen Strafen und psychischen Demütigungen durch die SS und Kapos wehrlos ausgeliefert. Mit Deffners Ankunft ändert sich nichts daran. Vor allem vor dem Rapportführer Tempel und dem Arbeitseinsatzführer Johann Kirsch haben die Häftlinge Angst. Aber auch der Lagerführer selbst habe die Häftlinge misshandelt, berichtet ein Überlebender aus Litauen, Boruch Siew, den amerikanischen Richtern. Mit einem Gummischlauch habe Deffner seinen Freund und die anderen in seiner Arbeitskolonne brutal geschlagen. Deffner verweist auf die Aussagen der Priester und auf die Zeugnisse von Bözsi Legmann und Schifra Noek. Als er von den Richtern nach der Räumung des Lagers und dem Todesmarsch von Kaufering nach Dachau, bei dem viele Häftlinge ermordet wurden, gefragt wird, beruft Deffner sich wieder auf höheren Befehl.
Georg Deffner nach seiner Entlassung, Augsburg 1948
Im Gegensatz zu seinen Vorgängern auf dem Posten des Lagerführers von Kaufering I, dem SS-Oberscharführer Alfred Kramer und dem SS-Obersturmführer Johann Schwarzhuber, die von den westalliierten Militärgerichten zum Tode verurteilt wurden, kommt Deffner 1947 mit einer Freiheitsstrafe davon. In den Nachfolgeprozessen werden in der Regel wesentlich mildere Urteile gefällt. Der Rechtswissenschaftler Holger Lessing, der 1993 über den ersten Dachauer Prozess promovierte, vermutet, dass es auch daran gelegen haben könnte, dass die urteilenden Richter die Verhältnisse im KZ noch unmittelbar nach der Befreiung selbst sehen konnten. Den Richtern der späteren Verfahren wiederum standen nur Fotos, Zeugen und schriftliche Aussagen zur Verfügung. Auch findet Deffners Prozess in einer Zeit statt, in der sich das politische Klima zwischen West und Ost zunehmend verschärft und der Kalte Krieg beginnt. Das Militärgericht verurteilt Deffner angesichts der belastenden Aussagen zu drei Jahren Gefängnis wegen Häftlingsmisshandlung. Da die Untersuchungshaft angerechnet wird, kommt er schon im September 1948 aus dem Gefängnis heraus.
Deffner muss nach seiner Entlassung nicht auf die «Christliche Gefangenenhilfe» der Bischöfe warten. Auch ohne direkte Intervention der
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