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Geboren im KZ: Sieben Mütter, sieben Kinder und das Wunder von Kaufering I (German Edition)

Geboren im KZ: Sieben Mütter, sieben Kinder und das Wunder von Kaufering I (German Edition)

Titel: Geboren im KZ: Sieben Mütter, sieben Kinder und das Wunder von Kaufering I (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Gruberová , Helmut Zeller
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Nachkriegsdeutschlands mit den Nazitätern erzählen. Das Schweigen großer Teile der Gesellschaft und der Kirchen zum Judenmord und zu anderen Naziverbrechen hielt bis weit in die 1970er-Jahre an – und in manchen Fällen sogar bis heute.
    Begonnen aber hat die Strategie der Umdeutung und Leugnung entgegen dem Mythos von der Stunde null viel früher, im Fall Deffners am 19. März 1944. An diesem Frühlingstag betritt ein ungewöhnliches Paar die leere Kirche St. Martin in Kaufbeuren im Allgäu. Der 1,72 Meter große Mann mit untersetzter Figur, glatten, nach hinten gekämmten Haaren und einer Narbe an der linken Schläfe trägt SS-Uniform. An seiner Seite schreitet eine schlanke Frau mit langen Haaren. Die beiden werden schon erwartet. Bereits im Februar hatte Georg Deffner mit dem Pfarrer des Katholischen Stadtpfarramts Christi Himmelfahrt in Kempten, Ulrich Felber, über seinen Wunsch nach einer nachträglichen kirchlichen Trauung gesprochen. Auf Druck der SS sei er 1933 aus der Kirche ausgetreten und habe wie alle anderen SS-Männer nur standesamtlich geheiratet. Danach folgte die obligatorische SS-«Eheweihe». Jetzt aber wolle er wieder Frieden schaffen mit Gott, seiner Kirche und seinem Gewissen. «Soldat, katholisch, ledig», gibt der 33-jährige Bräutigam, der in Wirklichkeit schon seit einem halben Jahr Lagerführer des neu errichteten Dachauer KZ-Außenlagers Kempten ist, für die Pfarrakte an. Pfarrer Anton Steichele traut das Paar heimlich und tauft auf dessen Wunsch die beiden Kinder, die vierjährige Tochter und den fünfjährigen Sohn. Auf den Kemptener Stadtpfarrer Felber macht der SS-Mann, der 1944 so reuig in den Schoß der katholischen Kirche zurückzukehren wünscht, offenbar einen sehr guten Eindruck. Denn nach dem Krieg wird Felber einer der Ersten sein, der dem KZ-Lagerführer einen Persilschein ausstellt: «Der Unterzeichnete war selbst erstaunt darüber, dass Deffner damals schon seine ganzen religiösen Angelegenheiten in Ordnung zu bringen den Mut hatte», schreibt er am 25. August 1945 in seiner pfarramtlichen Bestätigung. Dabei war er, Felber, zu der «festen Überzeugung» gekommen, dass Deffner «durch den ihm aufgezwungenen Beruf als Wachsoldat in einem KZ» sehr bedrückt gewesen sei.
    Auch von einigen ehemaligen Häftlingen erhält der Katholik Deffner pastoralen Beistand: «Wir alle – die meisten waren katholische Geistliche (…), haben es nicht verstehen können, dass Ihr Mann bei der SS war. Er hat uns allen nie etwas angetan und uns geschützt, wo immer er es nur konnte», schreibt am 29. Juli 1946 an Josefa Deffner, die unermüdlich nach Entlastungszeugen für ihren Mann sucht, der «ihr sehr ergebene» Pater Allebrod aus Simmern. Der Priester war als Häftling im KZ Dachau dem Postkommando zugeteilt, das vom Oktober 1942 bis Oktober 1943 dem SS-Hauptscharführer Deffner unterstand. Dessen Aufgabe bestand vor allem darin, Post zum Bahnhof zu bringen und abzuholen und nach strengster Zensur durch Deffner auf die Häftlingsblöcke zu verteilen. «Ihr Mann ist damals für unsere unleugbaren Rechte eingetreten», schreibt im August 1946 an Josefa Deffner ein weiteres ehemaliges Mitglied dieses Häftlingskommandos, Georg Schelling. Er meint damit den Umstand, dass Deffner den Geistlichen half, von dem «schönen Postkommando» die kommunistischen Häftlinge zu verjagen. «Es fordert die Gerechtigkeit, der Möglichkeit Raum zu geben, dass jemand zwar die SS-Uniform trug, nicht aber dem Geiste und der Tat nach SS-Mann war. Ein solcher Sonderfall trifft für Deffner zu», erklärt Pastor Horst Thurmann, fünf Jahre Häftling im KZ Dachau, im Mai 1946.
    Dass es nach dem Krieg mehrere Priester gegeben hat, die zugunsten ehemaliger SS-Schergen aussagten, obwohl sie selbst verfolgt waren und unter dem Naziregime gelitten hatten, mag verwundern. Doch sie handelten aus christlicher Barmherzigkeit und verfolgten nur konsequent die Linie, die ihre Kirche ihnen vorgab. Verschwiegen wurde dabei, dass die Täter sich ja schon schuldig durch ihre Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Organisation wie der SS gemacht hatten und in der Regel keine Scham oder Reue zeigten. Aber schließlich hatten die meisten Kirchenvertreter vor 1945 die antisemitische und antikommunistische Weltanschauung mit den Nationalsozialisten geteilt. Der deutsche Publizist Ernst Klee zitiert in seinem Buch «Persilscheine und falsche Pässe» Kardinal Faulhaber, der im Juni 1945 in seinen pastoralen

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