Geboren im KZ: Sieben Mütter, sieben Kinder und das Wunder von Kaufering I (German Edition)
kranker oder sterbender Menschen, die mit Evakuierungstransporten nach Dachau gekommen sind. Im Lager herrscht eine Fleckfieberepidemie, mehr als 15.000 Gefangene sterben in den letzten vier, fünf Monaten an Krankheit, Unterernährung oder durch Gewalttaten der SS. Das Bewachungspersonal läuft hin und her, hievt Koffer und Kisten auf große Lastwagen. Nach der schrecklichen Fahrt von Kaufering kann sich Eva kaum mehr auf den Beinen halten. In Erinnerung an diesen Tag wird ihr vor allem das Bett in der Baracke des Frauenreviers bleiben. «Da waren richtige Betten. Endlich hatte ich wieder ein Bett.» Für die Häftlingspfleger, die im Krankenrevier arbeiten, bedeutet die Ankunft von sieben Frauen mit Kindern im Männerlager Dachau eine Sensation. «Wir bekommen ein Zimmer, Franzosen kümmern sich um uns. Wir können baden, sie bringen uns das Essen. Es ist kein Lageressen. Franzosen erklären uns, dass es nur noch ein paar Stunden dauert, dann werden wir befreit», schreibt Magda Schwartz in ihren Erinnerungen. Am Morgen des 29. April 1945, einem Sonntag, werden die Häftlinge im Stammlager Dachau ein letztes Mal gezählt. Der Lagerschreiber dokumentiert, dass sich im Lager jetzt insgesamt 32.335 Häftlinge, darunter 385 Frauen und Kinder, befinden. Unter 167 weiblichen «Zugängen» aus Kaufering erwähnt er ausdrücklich auch «7 Frauen mit Kindern».
Am Sonntag klart der Himmel über Dachau auf, bringt kaltes, aber schönes Wetter. Miriam kann sich kaum auf ihr Gebet konzentrieren, wie die anderen ist sie sehr angespannt. Jeder spürt, dass es auf das Ende zugeht. Aber werden wir wirklich befreit? In der Nacht hörte sie Gefechtslärm. In ihrem Kopf kreisen die Gedanken, sie kann ihre und die Nervosität der anderen Frauen kaum mehr ertragen. Dann heißt es: Die SS ist weg. Und wirklich, auf einem Wachturm flattert eine weiße Fahne. Aber dort stehen doch noch die Wachen, das Maschinengewehr auf das Lager gerichtet. Alliierte Flugzeuge waren schon am Vortag tief über die Menschenmasse hinweggeflogen. Aber wann befreien uns die Amerikaner endlich, wo bleiben sie so lange? Den ganzen Vormittag über hören die Häftlinge immer wieder Schießen und Geschützdonner. Am Nachmittag dann herrscht plötzlich Stille. Die sieben Frauen sehen sich schweigend an.
Lieutenant William J. Cowling von der 42. Rainbow Division ist einer der ersten Soldaten, die das Häftlingslager betreten. Der Appellplatz ist menschenleer und ruhig. Zuerst geschieht gar nichts, bis dann plötzlich, nach vielleicht eineinhalb Minuten, Menschen aus den Baracken strömen. Dünne, halb verhungerte, schmutzige Gestalten stürzen sich auf die amerikanischen Offiziere und Soldaten, küssen ihre Hände und Gesichter, manche sogar ihre Schuhe. Der Platz ist erfüllt von den Rufen Tausender Menschen. Viele Schwache und Schwerkranke versuchen, zu lächeln und mit der Hand zu winken, aber sie können ihre Befreier nur stumm anschauen, während ihnen die Tränen über die Wangen laufen. An seine Eltern schreibt der 23-jährige Cowling: «Selbst wenn ich getötet worden wäre in diesem Krieg, ich wäre, verglichen mit diesen Menschen, glücklich.» Auch Miriam hört das Schreien. Sie hält es nicht mehr aus, geht ängstlich zur Baracke hinaus. «Die Menschen waren wie verrückt. Jeder ist gelaufen, hin und her, jeder hat geschrien. Wir sind frei! Wir sind frei!» Eva kann ihre Gefühle von damals bis heute nicht richtig in Worte fassen. «Das war … das war … einfach etwas ganz Großes. Wir haben verstanden, dass alles vorbei ist.» Die Kriegsreporterin Marguerite Higgins, die die US-Soldaten begleitet, schreibt für die New York Herald Tribune: «Die Baracken in Dachau waren angefüllt mit dem Gestank von Tod und Krankheit.» Auf den Wegen und in den Baracken liegen mehr als tausend Tote, in Baracken dicht gedrängt Verhungerte und Sterbende. 4000 Leichen, die nicht mehr verbrannt werden konnten, finden die Amerikaner aufgeschichtet vor und im Krematorium. Außerhalb des Barackenlagers, auf einem Gleis beim SS-Lager, steht ein Eisenbahnzug mit 39 Waggons. In den Waggons liegen 2300 Tote, Häftlinge eines Transports aus Buchenwald, der in der Nacht zum 28. April eingetroffen ist.
Die jungen Soldaten der 7. US-Armee sind entsetzt, viele werden den Anblick ihr Leben lang nicht vergessen können. Wilfred Fisher aus Louisiana ist 21 Jahre alt, als er mit 22 Soldaten der 567. Medical Ambulance Company am Tag nach der Befreiung Dachau erreicht. «In
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