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Geboren im KZ: Sieben Mütter, sieben Kinder und das Wunder von Kaufering I (German Edition)

Geboren im KZ: Sieben Mütter, sieben Kinder und das Wunder von Kaufering I (German Edition)

Titel: Geboren im KZ: Sieben Mütter, sieben Kinder und das Wunder von Kaufering I (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Gruberová , Helmut Zeller
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seiner ersten Frau Borbala und ihren zwei Kindern bewohnte, war bei Luftangriffen im Zweiten Weltkrieg zerstört worden. Borbala war ebenfalls Gynäkologin, eine hübsche Frau, die mit ihren Patientinnen geduldig und freundlich umging. Sie stammte aus dem heute slowakischen Košice, der Stadt, in der Vadász vermutlich studiert hatte. Ihre Kinder Gabriella und Ferenc László wurden am 7. April 1931 und am 2. September 1933 geboren. Margit hatte eine Klassenkameradin Gabriellas aufgetrieben, die inzwischen gestorbene Eleonore Putti. Sie erinnerte sich gut an Gyöngyike, Perlchen, wie sie von ihren Eltern gerufen wurde. Das Mädchen sei intelligent, wohlerzogen und bei Lehrern und Kindern sehr beliebt gewesen. Das Schulbuch des Nagykállóer Gymnasiums aus den Jahren 1941/42 enthält einen weiteren Hinweis. Gabriella hatte in den Fächern Gymnastik und Schönschreiben die Note «gut», in allen anderen Fächern «sehr gut».
    Auch Imre Arvai, Schuhmacher in der kleinen Lederwarenfabrik, die zweihundert Meter vom Haus der Familie Vadász entfernt lag, hatte Perlchen nicht vergessen. «Für Doktor Vadász und seine Familie haben wir öfter Schuhe gemacht. Besonders gern sahen wir es, wenn Gyöngyike vorbeikam und uns besuchte. Das kinderlose Fabrikantenehepaar Daku mochte das Mädchen, mit dem man so verständig reden konnte, sehr gern.» Keine zehn Minuten Fußweg von der Diskothek entfernt steht das verlassene Gebäude der ehemaligen jüdischen Schule. Von der Fassade des Hauses sind Putz und Farbe abgeblättert. In dieser Schule wurden die Juden Nagykállós am 14. April 1944, auch Vadász’ Familie und seine drei Geschwister, von ungarischen Gendarmen zusammengetrieben. Von dort aus wurden sie mit Pferdefuhrwerken in ein nahe gelegenes Getto gebracht und nach einer Woche unter freiem Himmel nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Vadász war zu dieser Zeit nicht in Nagykálló. Seit 1942 leistete er militärischen Zwangsarbeitsdienst und wurde am 13. Juni 1944 ins Getto von Kecskemét gesperrt. Borbala, Ferenc László und Perlchen starben am 28. Juni 1944 in den Gaskammern von Birkenau, bevor Ernös Transport eintraf. Auch seine Geschwister wurden sofort ermordet, er selbst am 11. Juli nach Kaufering deportiert.
    Von seinen Erlebnissen in Kaufering I erzählte Vadász kaum jemandem in Nagykálló. Die meisten wollten davon aber auch nichts hören. Von den ungefähr eintausend Juden – bei einer Gesamtbevölkerung von 12.000 – sind nur 46 zurückgekehrt. Als Ernö Vadász Ende 1945 seine Arztpraxis wieder öffnete, erschraken die Bewohner Nagykállós. Die Frauen fürchteten sich vor dem Überlebenden, glaubten, er müsse sie doch hassen für seine KZ-Haft und den Mord an seiner Familie. Aber Ernö Vadász war auch in dieser Hinsicht ein außergewöhnlicher Mann. Er spendete ein Grundstück aus seinem Familienbesitz und half, darauf ein ambulantes Krankenhaus für die vielen Tbc-Kranken in der Stadt und Umgebung zu errichten. Als Amtsarzt betreute er die Menschen von 18 umliegenden Dörfern, und er hat fast jede Entbindung in Nagykálló geleitet. «Gyuri Barna, das erste Kind, das er nach dem Krieg zur Welt brachte, ist heute Professor und Arzt in Schweden», erzählt Margit. Rasch begriffen die Bewohner der Stadt, dass der freundliche und hilfsbereite Ernö Vadász sie nicht verurteilte. «Ich stelle ihn mir als einen sehr begabten Mediziner vor. Vor allem aber als einen liebevollen Menschen, der seine Familie zusammenhalten wollte. Er hatte alles verloren und blieb dennoch so menschenfreundlich.»
    «Heute sagen viele, dass doch gar nicht so viele Juden getötet wurden.» Dieser Leugnung, die den neuen Antisemitismus in Ungarn begünstigt, setzt Margit ihren unbestechlichen Blick auf die eigene Heimat entgegen. Auch deshalb hat sie sich der Erinnerung an Vadász verschrieben, der für sie die Werte der Toleranz und Nächstenliebe gelebt hat. «Für mich ist das eigentliche Wunder, dass jemand, der so viel Leid und Böses erfuhr, den Menschen so zugetan blieb.» Im Nachdenken über Vadász findet Margit Harsányi selbst Halt, denn auch sie hat ihr Leben nie aus dem Schatten herausführen können, den Hass und Gewalt des 20. Jahrhunderts werfen. Ihr Vater wurde im Oktober 1944 von den Sowjets zusammen mit 3000 Männern aus Nagykálló und Umgebung verschleppt. Sie hat ihn nie kennengelernt. Margit nimmt ihre Brille ab und wischt sich die Tränen aus den Augen. Aber auch in ihrer Trauer vergisst sie

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