Geboren im KZ: Sieben Mütter, sieben Kinder und das Wunder von Kaufering I (German Edition)
sieben Frauen und Kindern zu helfen, sprach sie dagegen sehr oft. Damals wie heute war und ist sich Miriam über die Motive des SS-Mannes, der ihnen half, im Klaren: «Die Deutschen wussten schon, dass der Krieg verloren war. Sie wollten uns als Alibi benutzen und zeigen, dass sie keine Kinder töten.» Auch Ibolya Ginsburg sieht das so: «Die SS-Männer halfen nicht, weil ihnen die Frauen und Babys leidtaten. Sie wollten bloß ihre Haut retten.»
Anfang März endet die Quarantäne im Kauferinger Lager I. Die Häftlinge müssen wieder zur Arbeit ausrücken. Auch Eva, Bözsi, Ibolya, Magda, Sara und Dora gehen wieder in die Lagerwäscherei. Jeden Tag hören und sehen die Häftlinge jetzt Bombengeschwader der Alliierten, die Angriffe auf München und andere Städte Bayerns fliegen. Während die SS-Wachmannschaften beim ersten Ton der Sirenen flüchten, freuen sich die Gefangenen über die Vorboten der Freiheit. Die Tage vergehen aber wie bisher, nur die Nervosität der SS wächst spürbar. Jeder ahnt, dass die Amerikaner nicht mehr weit sind. Im Lager herrscht ein ständiges Kommen und Gehen. Eva hat große Angst. Wie alle anderen glaubt sie, dass die SS nur gewartet hat, bis das letzte Baby auf die Welt kommt. «Nach der letzten Geburt, zu der es Ende Februar kam, wollen sie uns abtransportieren, dachten wir damals», schreibt auch Magda in ihren Erinnerungen. Ihre Vermutung war richtig. Am 13. März 1945 unterschreibt der erste SS-Lagerarzt im KZ Dachau, Fritz Hintermayer, den Überstellungsbefehl für «Wöchnerinnen und zur Arbeit nicht mehr einsatzfähige weibliche und kranke Häftlinge». Die Mütter und ihre Kinder sollen in das KZ Bergen-Belsen deportiert werden. In den letzten Wochen verwandelt sich dieses Lager immer mehr zum Auffang- und Sterbelager für kranke Häftlinge aus allen Teilen Deutschlands, die für das Naziregime nicht mehr von ökonomischem Nutzen sind. Das KZ ist zu dieser Zeit, besonders durch die Häftlingstransporte aus dem Osten, hoffnungslos überfüllt, eine Fleckfieber- und Typhusepidemie ist ausgebrochen. Täglich sterben 250 bis 300 Menschen, schreibt der Lagerkommandant Josef Kramer Anfang März an Richard Glücks, Leiter der Inspektion der Konzentrationslager, nachdem er einen Befehl bekommen hat, noch weitere 2500 kranke weibliche Häftlinge aus Ravensbrück aufzunehmen. Im Lager mangele es an allem, Essgeschirr, Desinfektionsmitteln und Decken. Fast 35.000 Häftlinge sterben in Bergen-Belsen allein in den letzten viereinhalb Monaten des Krieges. Die Säuglinge hätten dort keine Überlebenschancen gehabt. Zum Glück kann der Befehl Hintermayers nicht mehr ausgeführt werden. Der Vormarsch der Alliierten verhindert die Deportation.
Todesmarsch und Befreiung, April 1945
I n den ersten Aprilwochen hören die Häftlinge den Geschützdonner der alliierten Artillerie immer näher kommen. Mit jedem Tag wächst die Spannung, im Lager kursieren alle möglichen Gerüchte. Viele sind überzeugt, dass die Nazis vor ihrer militärischen Niederlage alle Gefangenen umbringen werden. Wie nach dem Krieg bekannt wurde, existierte in der Tat ein Plan zur Vernichtung der Häftlinge von Dachau und der großen Außenlagerkomplexe um Mühldorf und Landsberg/Kaufering. Noch vor der Ankunft der Befreier sollten die Lager bombardiert oder die Menschen vergiftet werden. Die Operationen trugen die Decknamen «Wolke A» und «Wolkenbrand». Die Lage ist unübersichtlich, neben den Vernichtungsplänen, die doch nicht verwirklicht werden, laufen auch Verhandlungen über die Freilassung einzelner Häftlingsgruppen und deren Übergabe an das Rote Kreuz. Mitte April 1945 erteilt Himmler an die Kommandanten der KZ Dachau und Flossenbürg einen Befehl, dem zufolge kein Häftling lebendig in die Hände des Feindes geraten soll.
Seit Januar 1945 schon ziehen endlose Kolonnen von Häftlingen quer durch das unter der Herrschaft der Nazis noch verbliebene Gebiet. Hunderttausende Menschen, viele von ihnen kaum noch gehfähig, müssen die Konzentrationslager vor den anrückenden Alliierten verlassen und werden durch das Land getrieben. Die sogenannte Evakuierung, die bereits im Spätsommer und Herbst 1944 in Ostpolen und in den baltischen Ländern beginnt und 1945 mit der Räumung der Lager in Polen und auf deutschem Boden fortgesetzt wird, leitet die letzte Phase des nationalsozialistischen Genozids ein. Die Häftlinge werden auf Todesmärsche getrieben. Die KZ-Wachen ermorden viele Gefangene noch vor dem
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