Geboren im KZ: Sieben Mütter, sieben Kinder und das Wunder von Kaufering I (German Edition)
diesem Moment bin ich ein Gefangener von Dachau geworden. Ich lebe mit dieser Wunde bis heute.» Seine Einheit wird angeführt von einem jüdischen Offizier, First Lieutenant Ben J. Rosenthal. Als Rosenthal und seine Soldaten in die Baracke des Frauenreviers kommen und die sieben Babys sehen, bringen sie vor Überraschung zunächst kein Wort heraus. «Der Offizier, ein junger Mann, hat angefangen zu weinen, er hat geweint wie ein Kind. Er sagte, dass unsere Kinder die ersten sind, die sie seit einer langen Zeit sehen.» Auch Miriam starrt ihre Befreier an. Zum ersten Mal in ihrem Leben sieht sie Menschen mit schwarzer Hautfarbe. «Nach kurzer Stille holen die Amerikaner ihre Fotoapparate hervor», schreibt Magda 40 Jahre später. «Sie reden und lachen. Ich glaube, sie freuen sich.» László, Maria, Zsuzsi, Gyuri, Judit, Agnes und Jozsi, die sieben jüdischen Babys, sollen in den folgenden Tagen noch viele Male fotografiert werden.
Die sieben Mütter mit ihren Kindern im befreiten KZ Dachau. Von l. n. r.: Eva mit Marika, Dora mit Zsuzsanna, Bözsi mit Gyuri, Sara (mit der Brille) mit József, Miriam mit László, Magda mit Judit, Ibolya mit Agnes. Ende April/Anfang Mai 1945
Am Tag nach der Befreiung trägt der Holländer Gert Nales ein Baby auf dem Arm, als er das Krankenrevier der Frauen betritt und auf Margit Lustig zugeht. «Die Mutter dieses Kindes kennt dich», sagt der ehemalige Häftlingspfleger Nales zu Margit. Sie kann ihren Augen nicht trauen, hatte sie doch in Augsburg gesehen, wie die schwangere Eva von der SS weggebracht worden war. «Es war ein Wunder. Wir haben uns alle so gefreut. Ein Baby im KZ! Die Kleine mit ihren großen Augen war so herzig, sie hatte Schokolade über den ganzen Mund. Die befreiten Männer waren so gerührt, als sie das Kind sahen, dass sie vor Freude versuchten, das arme Mädchen mit Schokolade vollzustopfen. Das war das wertvollste Geschenk, das sie ihr und den anderen Babys geben konnten.» Margit Lustig war Ende März, vier Monate nachdem Eva und Miriam weggebracht wurden, von den Augsburger Michelwerken ins Frauenkrankenrevier des KZ Dachau gebracht worden. Der Grund dafür war ihre angebliche Blinddarmentzündung. Margit täuschte sie vor, um ihr Versprechen, das sie ihrer Mutter auf der Rampe von Auschwitz gab – sie bat sie, niemals ihre schwächere Schwester Truda zu verlassen –, einzulösen. Truda war wegen einer Tuberkuloseerkrankung bereits im Januar von Augsburg nach Dachau verlegt worden. Margits Plan ging auf. Der Häftlingsarzt, der ihren gesunden Blinddarm herausoperierte, verriet sie nicht. Seitdem arbeitete sie als Pflegerin im Krankenrevier der Männer.
Von l.: Ibolya Kovács mit Agnes, Sara Grün mit Józsi, Eva Schwartz mit Marika, Magda Schwartz mit Judit, (Elisabeta) Böszi Legmann mit Gyuri im befreiten KZ Dachau, 1.5.1945
Noch haben die Babys von Eva, Miriam, Bözsi, Dora, Ibolya, Magda und Sara nicht überlebt. Hunderte von befreiten Häftlingen sterben noch in diesen Tagen an Unterernährung und Krankheiten. Im 127. Evacuation Hospital ist die US-Krankenschwester Charlotte Chaney mit ihren drei Kolleginnen einen Tag lang, von neun bis 16.30 Uhr, nur damit beschäftigt, mehr als achtzig Frauen und sieben Babys zu entlausen und medizinisch zu versorgen. Die sieben Mütter müssen, bevor sie in das Hospital aufgenommen werden, in ein Lysolbad steigen. Sie waren in einem Lager, in dem seit Anfang des Jahres Typhus herrschte. Zum Glück steckte sich keine von ihnen an. Danach besprühen die Krankenschwestern, die zum Schutz vor Ansteckung Gummihandschuhe und eine Gesichtsmaske tragen, die Frauen und ihre Babys mit desinfizierendem DDT-Pulver. Typhuskranke bekommen eine Seife und ein Wasserbad, danach werden sie mit Lysol abgewaschen. Erst mehr als sechzig Jahre nach dem Krieg erfährt Miriam aus den alten Dokumenten, dass sie zu dieser Zeit auch an einer Hepatitis erkrankt war. Das Patientenverzeichnis des 127. Evacuation Hospital in Dachau vom 26. Mai enthält auch die Diagnosen der Babys: Marika, Zsuzsi, László, Gyuri und Judit sind mit Typhuserregern in Kontakt gekommen. Miriam erträgt die unangenehme Prozedur geduldig, die freundliche und mitfühlende Behandlung durch die Krankenschwestern empfindet sie wie ein Geschenk. «Sie haben uns ein sehr schönes Zimmer gegeben, mit frischen Betten, zwei Krankenschwestern blieben bei uns.» Fühlt sich so das Glück an? Sie leben. Aber was ist mit ihren Männern, Geschwistern, Eltern? Eva und
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