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Gebrauchsanweisung fuer Amerika

Gebrauchsanweisung fuer Amerika

Titel: Gebrauchsanweisung fuer Amerika
Autoren: Watzlawick Paul
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dem Amerikaner schon in der Volksschule beigebracht, nach jedem Städtenamen auch den Namen des betreffenden Bundesstaates anzugeben. Bei kleineren Städten hat das unleugbare praktische Vorteile; »Chicago, Illinois« oder gar das beliebte »New York, New York« scheint dem Europäer aber denn doch doppelt gemoppelt und »London, England« oder »Paris, France« vollends lächerlich bzw. eine Unterstellung geographischer Ignoranz des Gesprächspartners. Doch am einmal Erlernten hält man fest; ärgern Sie sich also nicht, wenn auch gebildete Amerikaner Ihnen von ihrer Europareise berichten: »We first flew to Oslo, Norway, then to Brüssels, Belgium, and ihm we went to see my wife’s relatives in Turin, Italy.« Nichts liegt ihm ferner, als zu insinuieren, Sie wüßten ohne seine Erklärung nicht, wo diese Städte sind. Er will sich nur korrekt ausdrücken.
    Korrekt ist es in jeder Kultur auch, gewisse Höflichkeitsfloskeln zu verwenden, die längst jedes konkreten Sinnes entleert und daher nicht ernst zu nehmen sind. Beispiele dafür sind in den Staaten die Bemerkungen »Thanks for calling« als Abschluß eines Telefongesprächs (auch wenn Ihr Gesprächspartner Sie mit Verbalinjurien überhäuft haben sollte); »See you later« , was den ahnungslosen Europäer besonders dann verwirrt (und je nach dem Geschlecht des Sprechers falsche Hoffnungen erwecken kann), wenn diese Floskel (die ganz unverbindlich »Auf Wiedersehen« bedeutet) bei mitternächtlicher Verabschiedung verwendet wird; »Hurry back« oder »Come back soon« , wenn keinerlei Pläne für ein neuerliches geselliges Zusammentreffen bestehen. – Unser europäisches »Mahlzeit!« dagegen hat keine amerikanische Entsprechung, während »Prost!« durch eine ganze Reihe verschiedener Zurufe ausgedrückt wird.

Presse, Radio, Fernsehen
    Mit Ihrer Ankunft in den Staaten sind Sie unversehens in ein Informationsvakuum eingetreten. Diese Behauptung mag Ihnen um so unwahrscheinlicher vorkommen, als Sie sicherlich von der berühmten Meinungs- und Ausdrucksfreiheit Amerikas gehört haben. Mit dieser Freiheit aber hat es seine eigene Bewandtnis, denn auch hier werden Sie auf den Unterschied zwischen Schein und Sein stoßen, von dem eben die Rede war.
    Der Amerikaner hat freiwillig und spontan einen Grad der Informationsverarmung und Meinungssteuerung erreicht, den jede um die Milch der frommen Denkungsart ihrer bockigen Untertanen besorgte volksdemokratische Regierung nur mit grünem Neid zur Kenntnis nehmen kann. Wie es dazu kam, darüber könnte ich nur dilettantisch spekulieren. Daß es so ist, werden Sie sehr bald feststellen. Die vielgerühmte und vielpropagierte Meinungs- und Pressefreiheit Amerikas besteht – darüber gibt es keinen Zweifel. Jedermann kann die Obrigkeit nach Herzenslust kritisieren, wirkliche oder vermeintliche Mißstände anprangern und auch den Präsidenten in einer Weise abkanzeln, die unsere zartbesaiteten europäischen Politiker mit »Ehren«-Beleidigungsklagen zum Kadi laufen ließe. Niemand schreibt dem Staatsbürger vor, was er denken, glauben und fühlen muß. Aber der Amerikaner hat diese Freiheit entweder für das Linsengericht der wohligen Gleichschaltung verkauft, oder er hat von ihr überhaupt nie Gebrauch gemacht. Das Resultat ist im einen wie im anderen Falle dasselbe: Man kann sich in den USA nicht einmal in dem Grade über das Weltgeschehen informieren, wie einem das jedes europäische Provinzblatt wenigstens in großen Zügen ermöglicht. Zugegeben, es gibt einige große Zeitungen, an ihrer Spitze die New York Times (deren Sonntagsausgabe oft über hundert Seiten oder 150000 Druckzeilen umfaßt). Aber sie, ebenso wie die Washington Post oder (überraschenderweise) der Christian Science Monitor , ist eine Ausnahme. Und wie auch auf der übrigen Welt sind die amerikanischen Zeitungen auf die Bedürfnisse ihrer Leser zugeschnitten; Bedürfnisse, von denen man allerdings kaum feststellen kann, ob sie Ursache oder Wirkung dieser Form der Nachrichtenversorgung sind.
    Es mag zutreffen, daß das Interesse am Weltgeschehen im Quadrat der Entfernung zu den Brennpunkten dieses Geschehens abnimmt; daß zum Beispiel die Entwicklung der Lage in Jugoslawien dem Bewohner von Omaha schnuppe ist. [11] Dies aber erklärt noch nicht, weshalb man in der zweitgrößten Demokratie der Welt vergeblich nach einer Oppositionspresse sucht. Ihr Fehlen macht es unmöglich, sich nach europäischem Rezept durch das Lesen der Einseitigkeiten sowohl der
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