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Gebrauchsanweisung fuer Amerika

Gebrauchsanweisung fuer Amerika

Titel: Gebrauchsanweisung fuer Amerika
Autoren: Watzlawick Paul
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sie heute, im Zeitalter des Fernsehens, praktisch keine Bedeutung mehr, wohl aber als Geräuschkulisse und - berieselung. Viele sind anscheinend vollautomatisiert, und wenn mit Platte oder Tonband mal etwas schiefgeht, dann läuft das Werkel so lange leer, bis es jemand bemerkt. Verlassen Sie sich auch nicht auf die Zeitangaben der Radiostationen (Zeitzeichen im europäischen Sinne senden sie sowieso nicht); Sie werden gelegentlich Abweichungen von mehreren Minuten feststellen können. Die einzig wirklich zuverlässige Zeitangabe vermittelt Ihnen das Telefon.
    Mit zwei Ausnahmen ist nichts typisch Amerikanisches über das Fernsehen zu sagen, denn wie anderswo auf der Welt erfüllt es seine Funktion der Vertrottelung und Verrohung der Menschheit. [12] Die eine Ausnahme ist das viel größere Programmangebot, das aber alle fünf oder zehn Minuten durch bis zu fünf Werbesendungen unterbrochen wird, die ja schließlich das Ganze finanzieren. Ausnahmen sind die Sendungen des von meist privaten Spenden lebenden Public Broadcasting System und die des Kabelfernsehens. Zum zweiten werden Sie bald entdecken, daß die Nachrichtensendungen noch dürftiger sind als die Meldungen der Presse und des Radios. Die von den meisten Amerikanern gesehene Nachrichtensendung verschiedener Kanäle dauert von 19 Uhr bis 19.30. Von dieser halben Stunde gehen aber fast zehn Minuten für Reklame drauf, während die eigentlichen Nachrichten aus Innenpolitik und Lokalmeldungen bestehen, deren Auswahlkriterien unerforschbar sind. Die durchschnittliche Zahl an Weltnachrichten oder sonstigen Auslandsmeldungen dürfte selten vier überschreiten. Wenn man sich nun überlegt, daß diese Nachrichtensendung die hauptsächliche, wenn nicht ausschließliche Informationsquelle der meisten Amerikaner ist, so dürfte meine Behauptung über die Selbstzensur und die sich daraus ergebende Ahnungslosigkeit des Amerikaners in bezug auf das Weltgeschehen nicht mehr so unglaublich scheinen.
    Ob die Amerikaner mehr oder weniger beharrlich vor der Flimmerkiste sitzen als die Europäer, kann ich nicht sagen. Nach Angaben der Medienforscher sollen viele Kinder aber bis zu 80 (!) Stunden pro Woche im Zustand passiven Glotzens verbringen. Im Sommer 1977 finanzierte die Detroit Free Press ein sehr interessantes Forschungsprojekt: Die Reporter dieser Zeitung boten eine Prämie von $ 500 den Familien an, die sich bereit erklärten, einen Monat lang auf das Fernsehen zu verzichten (ihr Apparat wurde von einem Mechaniker betriebsuntauglich gemacht und plombiert). Die erste Überraschung war, daß von 120 wahllos aus dem Telefonbuch gewählten Familien 93 von dieser Idee nichts wissen wollten. Von den restlichen 27 Familien wurden fünf gewählt, die in Hinsicht auf Einkommen, Beruf, Kinderzahl usw. einen annehmbaren Querschnitt durch die Bevölkerung darstellten.
    Der Abschlußbericht erwähnt unter anderem, »daß es anscheinend tatsächlich eine Fernsehsucht mit dementsprechenden ernsten Abstinenzerscheinungen gibt. Einige Leute verloren buchstäblich ihre Fassung. Sie wußten einfach weder aus noch ein.« In einer dieser Familien, die wöchentlich 70 Stunden fernsah, schnellte der Zigarettenkonsum des Vaters von 20 auf 50, während die Mutter an nervösen Kopfschmerzen zu leiden begann. Andererseits gingen die Eltern öfters aus, sprachen mehr miteinander, lasen mehr, spielten öfters mit den Kindern und gingen früher zu Bett – aber nicht nur, um zu schlafen. [13]
    Ein Kapitel für sich, das ich nur ganz am Rande erwähnen kann, ist schließlich die Verwendung sublimialer (das heißt nicht bewußt wahrnehmbarer) visueller oder akustischer Reize in Spielfilmen (und daher auch im Fernsehen) und Radiosendungen – vor allem aber in der Werbung, die sich dieser Medien bedient. Die Welt der unbewußten Zeichen und Symbole, die Freud als erster zum Zwecke ihrer Bewußtmachung und Integrierung beschrieb und deutete, wird hier ganz konsequent im umgekehrten Sinne dazu mißbraucht, unbewußte Reize zu vermitteln, Stimmungen und Neigungen zu steuern, Bedürfnisse und Abhängigkeiten zu schaffen und den Konsumenten auf diese Weise ohne sein Wissen in den Kauf eines bestimmten Erzeugnisses hineinzuhypnotisieren. Wie das praktisch gemacht wird, darüber besteht bereits eine umfangreiche Literatur, die auch der europäischen Werbung längst bekannt ist.
    Was schließlich den Intelligenzgrad und die Sprachverhunzung der Werbung in den Massenmedien angeht, kann des Sängers Höflichkeit
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