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Gebrauchsanweisung fuer Amerika

Gebrauchsanweisung fuer Amerika

Titel: Gebrauchsanweisung fuer Amerika
Autoren: Watzlawick Paul
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Regierungsblätter als auch der Oppositionspresse ein ungefähres Bild der wahren Vorgänge zu bilden. In den USA spielt es gar keine Rolle, welche Zeitung Sie lesen, denn sie alle scheinen ihre Meldungen von ein und demselben geheimen, zentralen Nachrichtensupermarkt nicht nur in metaphorischem Zellophan keimfrei verpackt, sondern auch bereits vorgekaut zu beziehen. Auch der Stil bleibt weitgehend derselbe, und böse Zungen behaupten, daß sich die Ausbildung eines Journalisten im Erlernen von drei Regeln erschöpft: 1. Tell them what you are going to tell them; 2. Tell them; 3. Tell them what you have just told them (auf deutsch infolge der mehrfachen Bedeutung von tell nicht ganz so prägnant etwa: 1. Erkläre ihnen [das heißt, den Lesern], was du ihnen sagen wirst; 2. Sag es ihnen; 3. Erkläre ihnen, was du eben gesagt hast). Die erste Hälfte einer Meldung der Associated Press vom 4.10.1977 kann stellvertretend für den stereotypen Stil Hunderter solcher Nachrichten stehen:
    Verteidigungsminister Harold Brown sagte heute, daß die Russen nun imstande sind, einige Weltraumsatelliten anzugreifen, eine Entwicklung, die er »etwas beunruhigend« nannte. Brown gab auf einer Pressekonferenz bekannt, daß die Sowjetunion »eine operationelle Möglichkeit hat, die gegen einige Satelliten angewendet werden könnte«. Er sagte: »Ich finde das etwas beunruhigend.«
    Launisch aufgelockert werden diese Produkte dann durch die Elaborate der sogenannten columnists , die alltäglich, jahraus, jahrein und an derselben Stelle im Innern des Blattes bestimmte Ereignisse entweder humorvoll verniedlichen oder in einer Weise kommentieren, die ohne Zweifel für jeden Leser mit einem Intelligenzquotienten von 85 belehrend ist. Die columnists genießen hohes öffentliches Ansehen, und den jeweils neuesten Beitrag nicht gelesen zu haben gilt in gewissen Kreisen als ausgesprochene Bildungslücke, die höchstens durch Unkenntnis der letzten Baseball oder Football- Ergebnisse übertroffen werden kann.
    In der Presse erwähnt zu werden, womöglich gar mit Fotografie, scheint der Wünsche höchster unzä hliger Amerikaner zu sein. Hierzu eine Meldung, die mit Foto am 16.2.1977 durch die Presse ging:
    Heute morgen während des Stoßverkehrs bestieg ein Mann einen der Türme der Golden-Gate-Brücke und saß dort eine Stunde lang im Nebel. Seine Beweggründe waren unklar; die Polizei aber meldet, daß er nur wissen wollte, ob er in die Zeitung kommen würde. Als ihm das zugesichert wurde, stieg er herunter.
    Die Meldung ist allerdings deswegen atypisch (und die Wirkung des Unternehmens verpuffte), weil er leider nicht namentlich genannt wurde. Die genaue Namensnennung ist nämlich das Wichtigste, und deshalb werden Sie zum Beispiel auf Seite 1 der Zeitung das herzig-rührende Bild eines Zweijährigen sehen, der in einer Pfütze herumplanscht, und der Text informiert Sie, daß es sich um den kleinen Rickie Cadwallader aus Cincinnati, Ohio, handelt. Diese Form der Berichterstattung fällt unter die Rubrik human interest story und ist ihrerseits Anlaß zu noch rührenderen Zuschriften alter Damen an die Redaktion. Etwaige Leerstellen werden mit allgemeinbelehrenden Nachrichten ausgefüllt. So findet man etwa im Anschluß an die Bemerkungen des Senators XYZ zur Lage im Libanon die erbauliche Mitteilung: Das europäische Großherzogtum Luxemburg hat eine Fläche von 999 Quadratmeilen und eine Bevölkerung von 334790 Einwohnern.
     

     
    Glauben Sie nicht, daß Sie dieser Informationsverarmung dadurch entgehen können, daß Sie sich einfach weiterhin Ihre gewohnte europäische Tageszeitung kaufen. Wenn überhaupt, kommt diese nämlich per Schiff an und hinkt daher mindestens drei Wochen hinter den Geschehnissen her. Die einzige mir bekannte Ausnahme ist die Luftpostausgabe der London Times und die alle zwei Wochen ebenfalls auf Dünndruckpapier herauskommende Sammelnummer des Manchester Guardian (mit Übersetzungen von Artikeln aus Le Monde ). Ein weiteres Problem mit den ausländischen Zeitungen und Zeitschriften ist, daß sie selbst in Großstädten nur an ganz wenigen Stellen erhältlich sind, die der sich nur vorübergehend aufhaltende Reisende schwer findet. An deutschsprachigen Tages- und Wochenzeitungen liegen meist die Frankfurter Allgemeine Zeitung , die Neue Zürcher Zeitung , Die Welt und Der Spiegel auf.
    Die unzähligen amerikanischen Radiostationen sind in Privathand und leben von ihren Reklamesendungen. Als Unterhaltungsmedium haben
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