Gebrauchsanweisung fuer Amerika
nicht nur den Familiennamen, sondern auch den Vornamen des Mannes übernimmt und von da an offiziell (also zum Beispiel in brieflicher Anschrift, bei Vorstellungen, in der Zeitung und so weiter) Mrs. Charles Brown heißt. Merkwürdig steif klingt auch die – im Aussterben begriffene – Sitte beider Ehegatten, sich Drittpersonen gegenüber auf den abwesenden oder sogar anwesenden Partner nicht mit «my husband« bzw. »my wife« , sondern mit »Mr. Brown« oder »Mrs. Brown« zu beziehen.
Noch konservativer und neckischer ist aber schließlich der Brauch, Männer allgemein als boys und Frauen als girls zu bezeichnen. Der Satz »We boys went to smoke our cigars, while the girls stayed behind to talk about recipes« bezieht sich offensichtlich nicht auf eine Kindergarten-, sondern eher auf eine Altersheimparty.
Und zum Thema Alter, über das in einem folgenden Kapitel noch einiges zu sagen sein wird, werden Sie bald bemerken, daß der Amerikaner sich auf sein Kindesoder Jugendlichenalter niemals mit einer Angabe wie »Ich war damals soundso viele Jahre alt« rückbezieht, sondern unter Hinweis auf die damalige Schulstufe, also etwa: »This was in the 7th grade« oder (dem uneingeweihten Europäer praktisch unverständlich): »I was a sophomore then.«
Ein weiteres Problem ist das fehlende Du. Selbstverständlich wissen Sie, daß das moderne Englisch nur über die Anredeform you sowohl zum Ausdruck des Sie wie auch des Du verfügt. Es wird Ihnen aber vielleicht erst in Amerika auffallen, wieviel praktische Wahrheit in der Feststellung der Sprachwissenschaftler steckt, daß Sprachen ihre eigene Wirklichkeit erzeugen. Die sehr wichtige Nuancierung, die in den übrigen indoeuropäischen Sprachen durch die Verfügbarkeit mindestens zweier Anredeformen besteht, fällt im Englischen weg. Das sehr persönliche Erlebnis des Anbietens oder Annehmens der Du- Brüderschaft, die subtile Art und Weise, in der sich eine Sie-Beziehung von einer Du-Beziehung unterscheidet, sind dem Angloamerikaner unbekannt. Man würde daher annehmen, daß seine Sprache dieses Fehlen in irgendeiner anderen Form auszugleichen versucht. Das genaue Gegenteil ist der Fall: Selbst die bestehenden Differenzierungen werden möglichst rasch gleichgeschaltet, so vor allem der Unterschied zwischen dem distanzsetzenden Gebrauch des Familiennamens (mit vorangesetztem Herr, Frau oder Fräulein) und der Intimität der Verwendung des Vornamens. In öder, unpersönlicher (aber offiziell stolz als demokratische, aufgeschlossene Freundlichkeit deklarierter) Unterschiedslosigkeit werden Vornamen sowohl dem geliebtesten Wesen gegenüber wie zur Anrede des (und seitens des) Tankwarts und Barmixers verwendet. Die in Europa gebräuchliche Nennung des bloßen Familiennamens (»Walder«), wann immer man sich selbst jemandem vorstellt, löst im Amerikaner eine Art Schock aus, den er fast unweigerlich mit der Frage nach Ihrem Vornamen zu überwinden versucht. Und wenige Minuten später verwendet auch der Bankbeamte oder Versicherungsagent bereits Ihren Vornamen (und wiederholt ihn in fast jedem Satz), als wären Sie und er Kumpane seit Jahrzehnten. Überhaupt sind Namen für den Amerikaner nicht etwas Privates, ein Ausdruck von Individualität, sondern eher das Gegenteil, nämlich sozusagen öffentliches Eigentum. Sie können befingert werden, man trägt sie stolz und in Großbuchstaben auf dem Gepäck, der Krawatte oder sogar über der Nummerntafel des Autos. Den Gipfel plastischer Surrogatbrüderschaft stellen die Namenskärtchen dar, die Konferenzteilnehmer sich auf die Brust kleben und auch außerhalb der Sitzungsräume tragen. Unter dem Namen der Tagung, zum Beispiel The American Dandruff Society Convention 1998, prangt der herzliche Ausdruck: »Hi, my name is.... what’s yours?« Auch die Lieblinge des öffentlichen Lebens sind selbstverständlich allgemein mit ihren Vornamen bekannt; nur der Ungebildete weiß nicht, daß Liz und Dick Filmschauspieler waren; Rosemary die einstige Sekretärin Präsident Nixons, der das bedauerliche Malheur unterlief, 18 Minuten Tonband versehentlich zu löschen; Patty die Tochter des Zeitungsmagnaten Hearst und ehemaliges hilfloses Opfer der »symbionesischen Befreiungsarmee«, und so weiter. Was an Familiennamen eingespart wird, wird bei Ortsangaben wieder vergeudet. Angesichts der Riesigkeit des Landes und der Tatsache, daß ein und derselbe Ortsname nicht selten mehrere Städte in verschiedenen Bundesstaaten bezeichnet [10], wird es
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