Gebrauchsanweisung für China (German Edition)
Klemme eines Infusionsschlauches regelt die Wasserzufuhr. So brachte Lehrer Wang die Kalligrafie aus dem Studio des Gelehrten auf die Straße. Und befreite viele Hobbykalligrafen von der Sorge um das teure Reispapier, auf dem sie zu Hause schrieben. »Keine vier Schriftzeichen, dann ist schon ein Blatt voll, und du bist wieder einen Yuan los. Das macht nervös«, sagt Wang. Die Renten sind nicht hoch, und Kalligrafen brauchen ein ruhiges Herz.
Flüchtig sind ihre Werke, meist verdunsten sie schon nach drei, vier Minuten. Das macht aber nichts. Man ist unter Freunden. Passanten bestaunen und kommentieren besonders spektakuläre Verse. Die vom pensionierten Buchhalter Li zum Beispiel. Li Wendao imitiert die Kalligrafie des Vorsitzenden Mao Zedong. »Ein großer Führer«, meint Li, »und ein vollendeter Kalligraf und Dichter.« In einem übertrifft Li noch den Großen Vorsitzenden: Er schreibt Mao rückwärts.
Manchmal, im Winter, passiert ein kleines Wunder. Lehrer Wang gibt dann ein wenig Salz ins Wasser. Die Zeichen gefrieren, und die Verse wirken fast plastisch, erstarren in silbernem Frost. Wang dreht an der Infusionsklemme, und aus seinem Pinsel fließt der ertrunkene Dichter. Kräftige Zeichen in der klaren Blockschrift kai shu:
»Genießen soll der Mensch sein Leben,
bald schmeckt es schal.«
»Können Sie sich das vorstellen?«, fragt Wang erregt.
Silberner Frost?
Schildkrötenblut
»Ein guter, gesunder, salzfreier Trunk«, glaubt man dem Roman »Schiffbruch mit Tiger«. Von griechischen Ärzten der Antike als Mittel gegen Epilepsie verschrieben, in Persien später durch Dosen rohen Kamelhirns ergänzt. Alten chinesischen Medizinhandbüchern zufolge regen Blut und Galle der Schildkröte Kreislauf und Immunsystem an. Wird heute gerne in ein Gläschen → Reisschnaps geträufelt.
Im Verein mit dem tibetischen Raupenkeulenpilz und Ausdauertraining im Hochland kann Schildkrötenblut einen zu Weltrekorden und Goldmedaillen katapultieren – das behauptete zumindest Trainer Ma Junren, der in den 1990ern mit eben noch völlig unbekannten Sportlerinnen über Nacht die Laufwelt eroberte. Dann wurde bekannt, dass der Trainer seinen Läuferinnen unter das vermeintlich magische Blut noch allerhand verbotene Mittelchen gemischt hatte, und »Mas Armee« verschwand so schnell, wie sie aufgetaucht war. Als Rehabilitation des Rufs der Schildkröte mag man die Tatsache werten, dass Peking ihr Blut neben Epo und Amphetaminen auf die offizielle Liste der verbotenen Substanzen für seine Olympiasportler setzte (auch dergetrocknete Hirschpenis und der Engelwurz kamen auf die Liste).
Das Volk ist ohnehin überzeugt. Die Schildkröte gilt seit alters als Symbol für Langlebigkeit und Macht. Chinesische Männer schwören auf die aphrodisiakische Wirkung der Suppe der Weichschildkröte ( wang ba tang ), Nachtschwärmer lassen sie sich gerne auf dem Nachhauseweg auftischen. Schildkrötenkopf ( gui tou ) ist im Chinesischen ein anderes Wort für die männliche Eichel.
Neuerdings warnen allerdings nicht mehr nur Tierschützer, sondern auch Ärzte vor dem Trunk: Offenbar schluckt man mit dem Schildkrötenblut auch allerlei Parasiten und Wurmlarven.
Essen.
Oder: Satt, gesund und glücklich
»Und der Tempel Gottes im Himmel wurde aufgetan, und es geschahen Blitze und Stimmen und Donner und Erdbeben und ein großer Hagel.« So steht es in der Apokalypse des Johannes, und während die Theologie noch streitet, wie der Apostel seiner Offenbarung teilhaftig wurde, halte ich es für nicht unwahrscheinlich, dass ihn der heilige Zorn ereilte nach einem Mahl in einem deutschen Chinarestaurant.
Im Buddhismus ist es so: Wer wirklich der Erleuchtung zuteilwerden will, der muss sich selbst auf den Weg zu ihr begeben, muss sie erfahren. Da hilft einem kein Priester und kein Mönch. Dem Zen-Buddhisten zufolge verhält sich ein Buch über die Erleuchtung zur Erleuchtung selbst so wie der Finger, der auf den Mond zeigt, zum Mond. In der Küche ist das nicht viel anders: Wer wirklich wissen will, was eine Weißwurst ist, muss hineinbeißen. Genauso verhält es sich mit der Frühlingsrolle, der chinesischen Weißwurst also. Wie gesagt, ich meine die echte Chinaküche, die in Kanton, Schanghai und Peking, nicht die Biomasse, die in den meisten deutschen Chinarestaurants im Teller schwimmt. Chinarestaurants im Ausland sind ja erstaunlicherweise recht beliebt.Sie sind aber, glauben Sie mir, mehr Finger als Mond. Noch immer
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