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Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Titel: Gebrauchsanweisung für China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Strittmatter
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Streifen von den Knochen geschnitten. Er sollte leben bis zum Schluss. »Bei jedem zehnten Schnitt sagt der Henker die Zahl laut an«, heißt es in einem Bericht aus dem Jahr 1510: »Am ersten Tag der Exekution erhielt Liu 357 Schnitte, jeder von der Größe eines Daumennagels, beginnend bei der Brust. Er blutete ein wenig bei den ersten Schnitten, dann kam kein Blut mehr. Man sagt, dass der Verurteilte in einen solch extremen Schock geraten kann, dass all sein Blut sich in Unterleib und Schenkel zurückzieht und erst dann herausspritzt, wenn am Ende die Brust aufgehackt wird.« Dann war da jener Meister, der die ihm anvertrauten Delinquenten über ein Beet frisch gesetzter Bambuspflanzen spannte. Die Auswahl der richtigen Sorte und warmes, feuchtes Wetter vorausgesetzt, konnten die Sprossen in wenigen Stunden bis zu 40 Zentimeter in die Höhe schießen und so bequem über Nacht ihr Opfer durchbohren. Meist jedoch schauten sich die Folterer ihre Techniken bei den Meistern der chinesischen Küche ab, die schon früh eine Vielzahl ausgeklügelter Zubereitungsarten der Frischfleischzubereitung kannten. Lautete das Urteil auf Gua , so wurde man in feine Streifen geschnitten. Bo pi bedeutete: Haut runter und hinein in den Wok. Hai hieß, dass man zu Fleischbrei zerstampft wurde. Bis heute kann die chinesische Küche im westlichen Ausland ihre Nähe zur körperlichen Misshandlung nicht leugnen. Nur haben sich die Rollen verkehrt: Heute lassen sich die Küchenchefs von den Folterknechten inspirieren. DasOpfer wird nicht mehr über den Bambus gespannt, stattdessen bekommt es ihn serviert, meist frisch aus der Dose, mit einem leicht säuerlichen Uringeschmack, den der Bambus sich in einem rostigen Schiffsbauch irgendwo zwischen Schanghai und Hamburg eingefangen hat.
    Erste Hinweise auf die Querverbindung von Kochen und Menschenrechtsverletzung finden sich schon vor dreitausend Jahren, als die Herrscher der Zhou-Dynastie aufmüpfige Beamte in ein großes ding steckten und darin garen ließen. Das ding ist nicht nur ein schönes chinesisches Wort, sondern darüber hinaus ein noch viel schönerer massiver dreibeiniger Bronzetopf, in dem vor allem Fleischgerichte geschmort wurden. Zu Zeiten der Zhou war es zum höchsten Symbol fürstlicher Würden aufgestiegen: ein Insignium der Macht also. Oberster Hofbeamter bei den Zhou war der Kanzler, sein chinesischer Titel jiazai bedeutete ursprünglich »Küchenmeister«. Die Minister, die ihm unterstanden, trugen Titel wie »Herr des Salzes« oder »Herr des Breis«. Historiker führen die Verschmelzung auf das Ahnenopfer zurück, jenes ritualisierte Gespräch mit den verstorbenen Vorfahren, von denen man sich Schutz und Wohlstand erbat. Das Ahnenopfer war das wichtigste Amt der Könige und Fürsten – und im Wesentlichen nichts anderes als ein ausladendes Bankett mit einer Unmenge an gewärmtem Wein, gedämpftem Fisch, geschmortem Fleisch und gebratenem Gemüse, an welchem sich zuerst die Geister der Ahnen laben durften, bevor sich der Hof über die Reste hermachte. Der Glaube an »hungrige Geister«, denen man regelmäßig die Bäuche stopfen muss, hat sich in Taiwan, in Hongkong und in den ländlichen Gegenden Chinas bis heute gehalten.
    Wahrscheinlich hat die religiöse Hingabe der Chinesen ans Feinschmeckertum hier ihren Ursprung. Wie sonst wollte man das Wunder erklären, das ihnen gelang: inmitten eines endlosen Stroms von Naturkatastrophen und Hungersnöten die feinste und vielseitigste Küche der Welt zu schaffen? Dieallein für das, was wir im Deutschen »Schmoren« nennen, ein halbes Dutzend verschiedene Techniken und Wörter hervorgebracht hat. Die sich dazu ein Volk herangezogen hat, das findet: »Bauch und Herz sind nicht zu trennen« ( xin fu bu fen ). Chinesen seien »seit mindestens zwanzig Jahrhunderten dazu aufgerufen, über ihre Essgewohnheiten nachzudenken, zu verstehen, was Essen bedeutet in Bezug auf den Körper und seine Lust«, schreibt die Historikerin Françoise Sabban im Vorwort des Buches »Essen in China«: »Gestehen wir uns ein, dass sie einige Längen Vorsprung haben vor uns.« Worte, immerhin, aus der Feder einer Französin.
    So ist das: Die echte chinesische Küche macht nicht einfach nur satt, sondern mindestens auch gesund und im Idealfall glücklich. Wundern Sie sich also nicht über den Raum, der diesem Thema hier eingeräumt wird: Es gibt in diesem Land kein wichtigeres. Essen ist dem Chinesen das, was dem Europäer der Sex ist, nur wird es mit

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