Gebrauchsanweisung für China (German Edition)
gibt es Leute, die glauben, sie könnten in Deutschland »zum Chinesen« gehen und zusammen mit der Rechnung die Befugnis zu einem Urteil über das chinesische Essen erstehen. Ich habe mich oft gefragt, wie man den Deutschen begreiflich machen könnte, welch flachem Abklatsch sie aufsitzen, bis es mir eines Tages wie Schuppen von den Augen fiel: Umgekehrt findet genau der gleiche Schwindel statt. In Guangzhou hatte ich es mir im »Rosengarten« bequem gemacht, direkt am Flussufer. Das Restaurant wirbt mit »westlichem Essen«, so bestellte ich ein »Omelette mit Toast«. Es kam eine mit einem Eimantel umhüllte Ketchuptasche. Unter einem Korianderzweiglein und einer halben Cocktailkirsche lagen zwei dreieckige Toastsandwiches, die beiden Scheiben mit Erdnussbutter jeweils so fest zusammengelötet, dass nichts sie je wieder voneinander hätte trennen können, dabei so flach, als habe sie sich der dicke Milo-Buddha (das ist der, der immer lacht und auf dessen gewaltigem Bauch manchmal kleine Kinder spielen) persönlich als Meditationsmatte untergeschoben. Omelette und Toast wurden mit einem Löffel serviert. Es machte satt. Und es machte nachdenklich.
Es gibt in der Wahrnehmung des chinesischen Volkes eine Küche, die im Rest der Welt so gar nicht existiert – nämlich das xican , das als eigene Kategorie eingeführte »westliche Essen«. Und dieses Essen ist geradezu der Spiegel der »chinesischen Küche« in Europa. Es ist ein Konstrukt, eine am Ort des Verzehrs geschaffene Vorspiegelung des Originals, eine Postkarte aus einem fremden Universum – all seine Milchstraßen, Sonnen, Planeten, Kometen und Monde auf 15 mal 8 Zentimeter pressend, und so liegt sie dann vor einem: falschfarben und zerknittert. Eine Vorlage für Träume, ja – zum Verzehr aber kaum mehr geeignet. Der Deutsche, der »zum Chinesen« geht, der Chinese, der sich »westliches Essen« leistet, sie beide lockt die Ahnung von der Fremde, der Ausbruch aus dem Gewohnten, die Koketterie mit der Weltläufigkeit. InChina kommt der Prestigefaktor hinzu: Der Westen ist die Moderne, er steht für Fortschritt und Zukunft. Der Westen ist schick.
Westliches Essen ist teuer in China. Umso größer ist die heimliche Enttäuschung bei vielen Chinesen ob dessen, was ihnen dann vorgesetzt wird: welche Armseligkeit im Vergleich zu ihrer eigenen Küche! Davon also ernähren sich die Menschen in den reichen Ländern? Die Armen. »Ab und zu gehen wir mit Freunden in ein westliches Restaurant«, erzählte mir stolz ein Feuerzeugdesigner in der südchinesischen Küstenstadt Wenzhou (der sich in seiner Heimat einigen Ruhm erworben hatte mit der Erfindung eines Feuerzeugs in der Form einer Kloschüssel). Dann beugte er sich herüber: »Also ehrlich gesagt, ich mag’s nicht.« Die Speisekarte in dem von ihm besuchten Restaurant mit dem schönen Namen »Paris Louvre« kreist vornehmlich um ein Gericht: Steak mit Spiegelei. »Ich ess immer drei Portionen«, gestand unser recht stämmiger Bekannter, »und werde immer noch nicht satt.« Und dieses trockene, krümelige Zeug, das wir im Westen äßen, fuhr er dann mit mitleidigem Blick auf mich fort, »also dieses Brot«, das kriege er erst recht nicht runter.
Unterschieden wird im Normalfall nicht. Nicht zwischen deutscher, spanischer, griechischer, französischer und italienischer und schon gar nicht zwischen ligurischer, toskanischer, umbrischer, sizilianischer oder römischer Küche. So wie der gemeine Europäer nicht unterscheidet zwischen Schanghai und Guizhou, zwischen Hakkas und Mandschuren, zwischen Sichuan- und Kanton-Küche. Wie wir die grobe Pekinger Kost mit den raffinierten Hangzhouer Gerichten, die Shandonger Maultäschlein mit dem Kantoner Dim Sum, die scharf-säuerliche Hunan-Küche mit der naturbelassenen Raffinesse Chaozhous, die vulkanischen Feuersoßen Chongqings mit dem süßlichen Schimmer Zhejiangs in einen Topf werfen, eine Extraportion Speisestärke dazukippen, einmalumrühren lassen und das Ganze dann bereitwillig »chinesisches Essen« nennen. So schmeckt’s dann auch.
Es sind an dieser Stelle ein paar Zeilen einzuflechten über die Folterknechte des alten China, welche findige Burschen waren. Die schlimmste Strafe war der Tod durch »eintausend Schnitte«. Der Name war eine Untertreibung, zu Beginn der Ming-Zeit (1368–1644 n. Chr.) hatten fingerfertige Henker die Zahl der Schnitte auf insgesamt 3357 erhöht: Dem Verurteilten wurde über einen Zeitraum von drei Tagen das Fleisch in winzigen
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