Gebrauchsanweisung für China (German Edition)
Staatspräsidenten erwartet hätte – es kam dann aber ein Hummer auf einem Teller, beziehungsweise zuerst marschierten von beiden Seiten des Saales Fackelläufer ein, die nach einer genau festgelegten Choreografie die 350 Gäste umkurvten und schließlich ihre Fackeln kreuzten, woraufhin Feuerwerfer an der Bühne meterhohe Flammen gen Saaldecke fauchten, um die Klimax des Abends anzukündigen: den Einzug jenes in Cognac geschmorten Hummers, triumphierend den Gang in der Saalmitte entlangbalanciert vom Chefkoch persönlich. Tosender Applaus, als Hummer und Koch die Bühne erklommen hatten. Unter den Hotels in Taiwan ist ein scharfer Wettstreitentbrannt darum, welches die eindrücklichste Essen-Servier-Show bietet.
Mich hat das Ergebnis einer Umfrage aus Chongqing nicht gewundert, die der Frage nachging, welches die bestverdienenden Leute in der Jangtse-Metropole seien: Es sind die Köche. Ein Chefkoch kann dort im Moment 12800 Yuan im Monat verlangen – fast dreimal so viel wie die Höchstverdiener in der IT-Industrie (4500 Yuan) und noch immer mehr als die meisten Chongqinger Fabrikdirektoren und Manager (bis zu 10000 Yuan). Zum Vergleich: Kellner arbeiten schon für 400 Yuan im Monat. Ein einziges Mal habe ich einen Chinesen getroffen, der verzweifelte ob der oralen Fixierung seines Volkes. Er nannte sich Jack und war Stahlbauingenieur aus der Pfefferprovinz Sichuan. »Die Chinesen verschwenden zu viel Zeit und Energie aufs Essen!«, seufzte Jack: »Wenn sie sich stattdessen doch nur mehr mit wissenschaftlichen Dingen befassen würden, dann würde unser Land vielleicht endlich vorankommen.« Kopfschüttelnd löffelte er seine Schüssel Reisnudeln aus, so ernst wie resigniert.
Von Konfuzius wird berichtet, er habe ein Gericht nicht angerührt, wenn der Koch den Fauxpas begangen hatte, die falsche Soße an das Fleisch zu geben: Gesalzenes Dörrfleisch schrie in den Augen der alten Chinesen geradezu nach Fischsoße, der salzige Fond aus Ameisenlarven hingegen war ein Muss zu würzigem Dörrfleisch. Der konfuzianische Klassiker »Die Riten der Zhou« berichtet, dass von den 4000 Domestiken am Hofe der westlichen Zhou (elftes Jahrhundert bis 770 v. Chr.) genau 2271 in Küche und Weinkeller gearbeitet hätten; allein um den Fisch hatten sich angeblich 342 Bedienstete zu kümmern. Diese Zahlen wurden im Essenministerium des zweieinhalb Jahrtausende später herrschenden Ming-Kaisers Wanli noch übertroffen, in diesem Falle nachprüfbar – aber solcher Exzess war dem Himmel offensichtlich ein Dorn im Auge, und es dauerte nicht mehr lang, da wurde die Dynastie der Ming (1368–1644) von den Mandschurenüberrannt. Die Mandschuren waren ein Reitervolk aus dem Norden, deren Kaiser dann unter dem Namen »Qing« (1644–1911) regierten: Die Fremden stellten Chinas letzte Dynastie. Und waren sie nicht selbst schuld, die Ming-Chinesen? Bei aller Liebe zum guten Essen hatten die Konfuzianer stets gemahnt, dass der Edle Maß halte. Ein Kaiser, der über die Stränge schlägt, lädt Dekadenz und Korruption an den Hof und verspielt das Mandat des Himmels.
Andererseits war den ackerbauenden Chinesen ihr Essen stets das, was sie zu Chinesen machte und von den Barbaren unterschied: Menschen, die Rohes, aber auch Menschen, die kein Getreide aßen, waren offensichtlich Barbaren. Natürlich zielte das vor allem auf die Nomadenvölker im Norden, derentwegen man auch die Große Mauer aufgestellt hatte. Warum sie die Mauer überhaupt für nötig hielten? Das Beispiel der Mandschuren zeigt, dass die Theorie der Chinesen von ihrer kulturellen Überlegenheit einen Haken hatte: Jene Barbaren, die doch per definitionem der chinesischen Zivilisation unterlegen zu sein hatten, waren ihr in der Praxis immer die größte Gefahr. So groß war jedoch der Stolz auf die eigene Küche und das Vertrauen in ihre Kraft, dass in der Han-Dynastie der Beamte Jia Yi (200–168 v. Chr.) den Vorschlag machte, die damals anstürmenden Hunnen mit chinesischem Essen zu zähmen: Statt noch mehr Garnisonen solle man lieber Chinarestaurants an der Grenze eröffnen. Jia Yi war überzeugt: »Wenn die Hunnen einmal auf den Geschmack gekommen sind und Gefallen finden an unserem gekochten Reis, unseren Eintöpfen, unserem gebratenen Fleisch und unserem Wein, dann wird das ihre entscheidende Schwäche werden.« 2200 Jahre später, in meinem Fall, hat das prächtig funktioniert.
Wo aber liegt die Grenze zwischen Raffinesse und Dekadenz? Einmal weilte ich in dem Städtchen
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