Gebrauchsanweisung für China (German Edition)
Qufu, um mich mit Nachfahren des Konfuzius zu treffen: Die Familie Kong ist heute eine Sippe, die vier Millionen über China und dieganze Welt verstreute Mitglieder zählt, so viel wie Norwegen Einwohner hat. (Kong war der Familienname des Konfuzius. Manche nannten ihn ehrerbietig Kong fu zi , Meister Kong, und die vom Papst nach Peking entsandten jesuitischen Missionare des 17. Jahrhunderts machten daraus unseren »Konfuzius«.) Im alten Palast des Clans wurde mir stolz berichtet, zum Gesinde der Kongs habe eine Familie gehört, deren Angehörige über Generationen hinweg sich um nichts anderes zu kümmern hatten als um das Säubern und Schneiden der Sojasprossen. In Adelshäusern offenbar nichts Besonderes.
Nun haben wir es mit einem Volk zu tun, das in seiner überwältigenden Mehrzahl immer aus Bauern bestand, die über einen Großteil des Jahres froh sein durften, wenn sie ein paar Kohlstrünke hatten und etwas Sojasoße, damit sie ihren Reis und ihre Nudeln nicht trocken hinunterwürgen mussten. Es lag also am Adel und an den reichen Kaufleuten, die Verfeinerung der Küche voranzutreiben, auch wenn schon in der Song-Zeit (960–1279 n. Chr.) von Weinhäusern berichtet wird, in denen über tausend Gäste Platz hatten und in denen auch kleine Händler und Handwerker sich an sautierten Muscheln, gedämpften Nierchen mit Litschi oder doppelt gekochtem purpurnen Suzhou-Fisch labten, also der Keim des Feinschmeckertums in den breiteren Massen gepflanzt war. Speisekarten mit mehr als 230 Gerichten waren schon damals nicht unüblich für Teehäuser und Restaurants in Kaifeng und Hangzhou. Hangzhou war damals die großartigste Stadt der Welt: Wahrscheinlich eine Million Einwohner zählte die Metropole am Westsee im 13. Jahrhundert, daneben hätte sich Marco Polos Heimatstadt Venedig – 140000 Bewohner und Europas Stolz – ausgenommen wie ein Provinzstädtchen.
Spätestens aus jener Zeit rührt die bis heute gepflegte kulinarische Arroganz des Südens gegenüber dem Norden. Nordchina ist geschlagen mit den schlechteren Böden, dem härteren Klima und Trockenperioden; fragt man die verwöhntenSüdchinesen, was der Norden zur reichen Esstradition ihres Landes beigetragen habe, so wollen sie ihren Landsleuten wenig mehr zugestehen als Nudeln, Maisbrötchen und Knoblauch. Manche Nordchinesen rächen sich mit der Behauptung, gerade weil der Himmel den Leuten im Süden den milden, warmen und fruchtbaren Teil Chinas geschenkt habe, weil ihnen das Essen gewissermaßen ins Maul falle, seien sie von eher einfacherem Gemüt. »Sie haben kaum Wechsel in den Jahreszeiten, essen also das ganze Jahr über die gleichen Dinge. Das macht die Südchinesen recht simpel«, will die Schriftstellerin Liu Zhen beobachtet haben. »Uns Nordchinesen hingegen hat die Natur abwechslungsreich gemacht.« Liu Zhen kommt aus Shandong, einer Provinz, die vor allem berühmt ist für ihre jiaozi , die gefüllten Teigtäschlein, zu denen man gerne rohe Knoblauchzehen knabbert. Sie lebt allerdings in Schanghai, wo sie sich die Qualifikation für ihr Urteil in einer langen und leidenschaftlichen Karriere allabendlichen Feinschmeckertums erworben hat. Mit ihr aß ich zum ersten Mal frittierte Wasserschlange.
Damals wie heute waren es oft neureiche Kaufleute und machttrunkene Beamte, die die Grenze überschritten zwischen Einfallsreichtum und Vulgarität. Etwa bei der vor einigen Jahren in Südchina aufkommenden Mode, Goldstaub über die Gerichte zu streuen. Später erregten Meldungen Aufsehen wie die über ein Restaurant in Changsha, das schwangeren Bauernmädchen die Muttermilch abzapfte und damit angeblich besonders nahrhafte Gerichte zubereitete. Oder die über die zwölf Hongkonger, die in einem Restaurant in Xi’an für ein Abendessen 360000 Yuan ausgaben, allein die Teerechnung habe 10000 Yuan betragen, informierte der Wirt im Anschluss.
Man sollte über solchen Anekdoten nicht vergessen, dass es keinesfalls die Exzesse sind, die das Wesen der chinesischen Küche erhellen. Yuan Mei (1716–1798) ist ein Literatengelehrter, der sich zu Lebzeiten einigen Ruhm erschrieb als eineArt Wolfram Siebeck der Qing-Zeit. Sein »Speisezettel des Sui-Gartens« ist ein erzählerisches Kochbuch, das 300 Rezepte und eine Liste berühmter Tee- und Weinsorten einbettet in Ermahnungen an den ernsthaften Liebhaber des guten Essens. Von Yuan Mei wird erzählt, er sei einmal im Haus eines neureichen Kaufmannes eingeladen gewesen, wo sich der Tisch bog unter mehr als
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