Gebrauchsanweisung für China (German Edition)
drei Dutzend exklusiver Gerichte. Nach dem Bankett, so heißt es, sei Yuan Mei nach Hause gegangen und habe sich erst einmal eine Schüssel einfachen Reisbrei gekocht, um seinen Hunger zu stillen. Sein ebenso berühmter Landsmann Li Yu ließ den Tau von Bambusblättern und Rosen sammeln, um ihn über gedämpften Reis zu träufeln. Chinas große Gourmets suchten die Raffinesse in der Einfachheit. Sie priesen das, was von Natur aus gut war. So ist das bis heute in der chinesischen Küche: Frische und Qualität der Zutaten gebührt das halbe Lob – weshalb für viele Chinesen der tägliche Gang zum Markt noch immer wesentlich ist. Selbst in der hektischen Finanzmetropole Hongkong hat Fleisch aus dem Gefrierfach keine Chance, muss das Huhn beim Kauf noch zappeln (was nach mehrfachem globalen Vogelgrippealarm mittlerweile die Virologen weltweit zur Verzweiflung treibt: Sie vermuten die Virenherde auf den Lebendtiermärkten Südchinas).
Der wahre Meisterkoch aber ist der, der es versteht, das Wesen dieser Zutaten herauszuarbeiten, es behutsam zu verstärken, harmonisch zu ergänzen und klug zu kontrastieren.
Und aus genau diesem Grund gehören die Gerichte A 1 bis Z 173 beim Chinesen in Wuppertal direkt in die Biotonne.
Stäbchen
1.
Essenswerkzeug. Wird gebraucht zur Überbrückung der Distanz zwischen Teller und Mund, ebenso für diverse Verrichtungen in der Küche sowie auf, neben und unter dem Esstisch. Stäbchen sind das chinesische Äquivalent zum Schweizer Taschenmesser: Man kann mit ihnen Flaschen auskratzen, Muscheln aufbrechen, Fische umdrehen und glitschige Doufu-Stückchen ebenso aufspießen wie uneinsichtige Kung-Fu-Gegner (→ Jackie Chan ).
2.
Messinstrument zur Anzeige der Integrationsleistung von Ausländern: »Toll! Sie können ja mit Stäbchen essen« (→ zhong guo tong , dt.: Chinaexperte).
Kommen heute vor allem vor als Einwegstäbchen.
Die aktive Lebensspanne von Chinas Essstäbchen lässt sich heutzutage meist in Minuten messen. Egal, ob in guten Restaurants, in Schulkantinen oder beim schmuddeligen Nudelmacher am Straßenrand: Wegwerfstäbchen sind so allgegenwärtig, dass sich längst kritische Stimmen erheben. Sandstürme und Flutkatastrophen haben den Waldschutz zueinem Thema gemacht in China. Und wenn 1,3 Milliarden Chinesen nach jedem Essen ihre Stäbchen wegwerfen, dann geht es vielen Bäumen an den Kragen. Die Regierung sagt, im Jahr produziere China 45 Milliarden Paar und opfere so 25 Millionen Bäume dem schnellen Hunger. Die forstwirtschaftliche Universität der Hauptstadt Peking zog als Erste Konsequenzen: In ihrer Kantine sind Einwegstäbchen heute tabu. (Die Aufmerksamkeit chinesischer Waldschützer macht nicht bei der Küche halt, jetzt wenden sie sich dem Badezimmer zu, wie die Webseite der »Volkszeitung« zu berichten weiß – nicht ohne noch geschickt chinesischen Erfinderstolz in die alarmierende Nachricht hineinzuweben: »China, das Land, dem die Erfindung des Klopapiers zugeschrieben wird, verbraucht auch am meisten davon – die Nachfrage sorgt für Druck auf kostbare Holzressourcen.«)
Chinesen essen seit 3000 Jahren mit Stäbchen, höchstens für Suppe und Soße lassen sie noch einen Löffel zu. Stäbchen sind Kulturgut geworden. Man kann sie für den Volkstanz ebenso gebrauchen wie für die Weissagung oder für einen Charakterschnelltest: In alten Büchern ist zu lesen, wer die Stäbchen mit drei Fingern halte, der sei ein unkomplizierter Mensch, wer alle fünf einsetze, sei zu Großem bestimmt. Ausländer, die sich freuen, wenn sie es endlich geschafft haben, von den gerösteten Erdnüssen zu nehmen, ohne sich mehr als zwei Finger zu brechen, sollten den Jubel noch dämpfen. Die wahre Prüfung wartet woanders: Wenn Sie der Ehrgeiz gepackt hat, schlage ich vor, Sie versuchen sich am Teller mit den glitschigen cao gu , Strohpilzen (mit Ausnahme von Kindergeburtstagen empfiehlt es sich, bei dieser Übung allein am Tisch zu sitzen), vervollkommnen Ihre Technik sodann an einer Schüssel Wabbel-Doufu und beweisen Ihre Meisterschaft schließlich an den dicken, langen, handgemachten Nudeln in der öligen Suppe. Wir sprechen uns, wenn Sie von der Reinigung wiederkommen.
Kaiser und hohe Beamte bevorzugten Stäbchen aus Silber, die sich bei vergiftetem Essen angeblich warnend verfärbten, in der Qing-Dynastie kam auch Elfenbein in Mode. Lack, Gold, Jade, Porzellan, Sandelholz, Rhinozeroshorn – kaum ein Material, aus dem man nicht auch schon
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