Gebrauchsanweisung für China (German Edition)
vor mehr als tausend Jahren Stäbchen gefertigt hätte. Die »einhundert alten Familien« nahmen mit Bambus oder Holz vorlieb. Einmalstäbchen eroberten die Volksrepublik erst in den Neunzigerjahren von Japan und Taiwan aus. Die Regierung förderte den Trend lange Zeit, mit der Begründung, sie seien hygienischer. Wenn schon Einweg, sagen nun manche, dann bitte Stäbchen aus schnell nachwachsendem Bambus. Deren Schicksal hat der Ming-Poet Cheng Lianggui schon in der Vor-Wegwerfzeit melancholisch besungen: »Fleißige Bambusstäbchen / schmeckt als erste süß und bitter / was dann anderen mundet / und ihr wandert vergeblich hin und her.«
Yin und Yang.
Oder: Das Dao der Küche
Treffen sich Chinese (C) und Ausländer (A). A ist neugierig und hat vielleicht auch Hunger, C will lediglich höflich sein.
C: Sie müssen unbedingt zum Essen zu uns kommen!
A: Aber ich will Ihnen doch keine Umstände –
C: Ach woher denn! Unbedingt!
A: Nein, nein –
C: Doch, doch –
A: Nein, nein, nein!
C: Doch, doch, doch!
A (frohlockt): Na gut!
C (denkt): Au weia!
Chinesische Tischetikette kennt nur wenige Regeln. Eine lautet: Nimm nicht jede Einladung ernst! Ping-Pong-Dialoge wie der obige sind unter Chinesen keine Seltenheit, doch dem kulturellen Skript folgend, schrauben sie sich meist ins Unverbindliche: »Ein andermal!« Unter Freunden sind Einladungen natürlich ernst gemeint – auch wenn der Eingeladene oft vermuten wird, dass es darum geht, einen Gefallenvon ihm zu erbitten. Was in China keineswegs als anrüchig gilt, sondern Teil der Spielregeln ist in dem stets weiterzuwebenden Netz von Beziehungen und Gefälligkeiten, mit dem Chinesen sich ein Leben lang ihre Wege absichern in einer als unzuverlässig geltenden Umwelt.
Verglichen mit dem eigenbrötlerischen Mitteleuropäer, ist der Chinese generell ein sehr soziales Wesen. Brennpunkt aller sozialen Aktivität ist das gemeinsame Mahl. Kaum wird man in China jemanden alleine an einem Restauranttisch sitzen sehen; wer sich mit einem chinesischen Freund zum Abendessen verabredet, der kann sicher sein, dass bei Ankunft mindestens schon ein halbes Dutzend anderer Freunde am Tisch sitzt und einem ein großes Hallo entgegenschmettert. Man trifft sich meist außerhalb, da chinesische Wohnungen oft sehr klein sind und es bei einer Einladung zudem möglichst üppig zugehen soll, was zu Hause einfach zu viel Arbeit macht.
In China ist ein Essen dazu da, Harmonie unter den Essenden zu schaffen. Das traute Einvernehmen unter Freunden und Geschäftspartnern aber, die Ordnung von Familie und Reich und ganz allgemein die Vollkommenheit des Universums spiegeln sich in China im Idealfall wider in dem Menü, das aufgetragen wird. Harmonie und Gleichgewicht, das Ausbalancieren der Gegensätze, sind zentrale Prinzipien der chinesischen Küche. So werden in möglichst abwechslungsreicher Folge Huhn, Schwein, Fisch, Doufu und Gemüse aufgetragen, auf ein Gericht mit Yin-Charakter folgt eines mit Yang-Charakter, »warmes« Rind wird komplettiert mit »kalter« Bittergurke. Warm und kalt haben in diesem Fall mit der Serviertemperatur des Gerichtes nichts zu tun, sie bezeichnen vielmehr den Grundcharakter bestimmter Zutaten: Erdnüssen und Ingwer zum Beispiel wird eine »warme« Natur zugeschrieben, Doufu oder Krebse hingegen bleiben auch dann »kalt«, wenn sie dampfend heiß den Tisch erreichen. Diese Zuordnung rührt aus der gegenseitigen Durchdringung vonEssen und Medizin, die in China vor mehr als zweitausend Jahren begann und sich hartnäckig hält. Jedes Gewürz, jede Zwiebel, jedes Kohlblatt und noch die versteckteste Schweineinnerei hat ihren festen Platz in diesem System, und so ist Essen nicht nur ein Mordsspaß, sondern immer auch gleichzeitig Gesundheitsvorsorge. Es werden sich viele Chinesen anerbieten, Sie tagtäglich mit allerlei nützlichen Volksweisheiten zu versorgen, der Art, dass Bittergurke überschüssige Hitze entziehe, Lammnierchen und Schildkrötensuppe Ihrer Männlichkeit zu Hilfe kämen und dass »scharfer Pfeffer schön macht« – wie mir einmal eine bildhübsche Sichuanerin versicherte.
Über das ästhetische Vergnügen eines chinesischen Menüs ist viel geschrieben worden, auch über die Bedeutung von Farbe, Duft und Aroma für die einzelnen Kreationen. Sträflich vernachlässigt haben westliche Beobachter bislang eine ebenso wichtige Qualität der Zutaten, nämlich deren Textur, die mit Zunge, Gaumen und Zähnen ertastete Beschaffenheit der Bissen
Weitere Kostenlose Bücher