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Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Titel: Gebrauchsanweisung für China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Strittmatter
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auf Platz drei: Man nehme einen lebenden Esel, binde ihn gut fest neben einem Topf brodelnder Suppe. Der Kunde deutet auf den Teil des Tieres, nach dem es ihm gelüstet. Der Koch nimmt daraufhin dem Esel an der Stelle vorsichtig das Fell ab, sodass das frische Fleisch bloßliegt. Dann schöpft er mit der Kelle von der kochenden Suppe und besprengt das Fleisch damit. Hat es den vom Gast gewünschten Gargrad erreicht, bekommt er es abgesäbelt und serviert. Die Rezepte zu Platz eins und zwei der Liste will ich Ihnen ersparen. Nur so viel: Der begossene Esel zählt ebenso wie das berüchtigte »Hirn vom lebenden Affen« ( hou tou ) oder die »Drei Piepser« ( san zi’r , ein Rezept, in dem lebende Rattenembryos eine Rolle spielen) zu jenen Gerichten, die aus Historie und Legende überliefert sind, für deren Fortexistenz im heutigen China zumindest ich jedoch keinen Beleg gefunden habe. Was nicht heißt, dass die beschriebene Technik – Verspeisen bei lebendigem Leib – ausgestorben wäre. In Erinnerung ist mir noch ein Hummer im Hotelrestaurant, dessenmächtige Scheren die Kinder in ihr Spiel miteinbezogen – das Tier schnappte nach Papierschnipseln, die sie ihm entgegenhielten –, während die Erwachsenen sich bereits am Hinterleib des Spielkameraden ihr Sushi absäbelten. Beliebt sind auch die »Betrunkenen Shrimps« ( zui xia ): Die Shrimps kommen lebend auf den Tisch und werden mit einem kräftigen Schuss Hochprozentigem in eine geschlossene Glasschale gegeben, wo sie unter kräftigem Zappeln ihr Leben aushauchen. Das schönste Denkmal hat diesem Gericht ein Japaner gesetzt: Der Regisseur Juzo Itami, der in seinem grandiosen Film »Tampopo« den Todeskampf der betrunkenen Shrimps zum Teil des Liebesspiels macht. Ein junger Gangster verbindet seiner Geliebten die Augen und lässt die Tierchen dann minutenlang auf ihrem nackten Bauch springen und zucken.
    Jetzt möchten Sie wissen, wie China auf den Bernhardiner kam? Lange kennt man den Hund noch nicht im Land, dafür ist bei manchen die Begeisterung umso größer. Es war im Jahr 1998, als der Professor Du Shaoyue seine Entdeckung einem größeren Publikum vorstellte: »Der ideale Fleischhund«, urteilte der Professor fachmännisch im staatlichen Fernsehsender CCTV. Und schon im Jahr darauf frohlockte die »Pekinger Jugendzeitung« über die »gute Nachricht zum Festtag: Es kommt wieder neues Essen auf den Tisch.« In der alten Heimat wollte man die Freude nicht teilen. »Kann die Schweiz stillschweigend zusehen, was mit den Bernhardinern in China geschieht?«, empörte sich die Genfer Organisation »SOS Saint Bernard Dogs« und gab gleich selbst die Antwort, erwartungsgemäß »ein klares Nein!«. Die Gruppe drohte mit Chinarestaurantboykott.
    Im Pekinger Osten, beim »Gourou Wang«, unweit unserer Wohnung, mussten sie um Kundschaft noch nie fürchten. Übersetzt heißt das Lokal »Hundefleischkönig«, und rein kommt nur, wer vorbestellt hat, so proppenvoll ist es. Mürbes Brustfleisch in Austernsauce kann man dort genießen oder rot geschmorte Hundshaxen. Am populärsten aber ist im Winterdas Hundefondue. »Das wärmt«, sagt die Kellnerin. Die Gäste sind Chinesen und Koreaner – in beiden Kulturen steht der Hund seit Menschengedenken auf der Speisekarte. Chroniken verraten, dass vor über zweitausend Jahren schon Chinas Han-Kaiser zwischen Pantherbrust und gebackener Eule gerne einen Eintopf aus Hundefleisch und Gänsedisteln auftischen ließen. Bald verbreiteten Medizinhandbücher die Theorie, wonach der Genuss von Hundefleisch den Nieren guttue. Bis heute gilt es im kulinarisch-medizinischen Koordinatensystem zwischen Yin und Yang als Fleisch mit Yin-Charakter, welchem das Kunststück gelingt, dem Körper zugleich Wärme zuzuführen (weshalb die Chinesen Hund vor allem im Winter essen) als auch schädliches »Feuer« zu absorbieren (weshalb die Koreaner gerne im Sommer zugreifen). Nur mit Branntwein sollte man Hund auf keinen Fall zubereiten, warnt ein Buch aus der Ming-Zeit: Dann drohen Hämorrhoiden.
    Anders als für Kuh und Schwein gab es für Hundefleisch in China jedoch nie Großzüchter – bis der Bernhardiner auftauchte. »Es gibt viele Arten von Hunden auf der Erde – nur einen Fleischhund gibt es noch nicht«, sagt Professor Du Shaoyue im CCTV-Lehrfilm, um dann triumphierend festzustellen: »Keiner gibt einen besseren Vater für eine solche Rasse her als der Bernhardiner.« Romantische Klaviermusik setzt ein, die Kamera schwenkt sanft über

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