Gebrauchsanweisung für China (German Edition)
ein Rudel tollpatschig im Gras umherstolpernder Welpen, eine Sprecherin preist die Vorzüge der Rasse: ihre Größe, ihre Sanftmut, ihre vielen Welpen, ihre robuste Natur, ihr schnelles Wachstum. Verspeist werden fast ausnahmslos die der Kreuzung mit chinesischen Weibchen entstammenden Halbbernhardiner – die Väter selbst sind zu kostbar. Die »Zeitung für Tier- und Fischzucht« beklagt in einem Artikel »Schwierigkeiten beim Import«: »Weil Ausländer Vorbehalte hegen gegen die Gewohnheit in einigen Gebieten unseres Landes, Hundefleisch zu essen.«
Diese Vorbehalte teilen im Übrigen nicht wenige Chinesen. Der Gourmet und Autor Li Yü plädierte schon im 17. Jahrhundert dafür, Rinder und Hunde von der Speisekarte zu streichen, weil sie Freunde des Menschen seien. Und eine Umfrage in Peking und Schanghai ergab, dass 43 Prozent der Befragten schon einmal Hundefleisch gegessen hätten – dass es der Mehrheit aber nie im Leben einfallen würde. Guo Lizhen, eine Lehrerin, gehört zu dieser Mehrheit. Sie nennt einen weißen Pekinesen ihr Eigen, den sie A Pang ruft, »Dickerchen«. Immerhin 700000 Pekinger haben sich mittlerweile einen Hund zugelegt – als Haustier, nicht als Notration für kalte Wintertage. Mittlerweile streunen schon wieder so viele Hunde durch die Hauptstadt, dass die stets wachsame Partei den traditionellen Nachbarschaftskomitees sogenannte Hundeerziehungskomitees – in Wirklichkeit Hundebesitzererziehungskomitees – angegliedert hat. Guo sagt, ihr A Pang beiße nicht. »Er ist so klug und einfühlsam«, erzählt sie. »Manchmal denke ich, er gleicht einem Menschen, der nur nicht sprechen kann.« Guo war ein einziges Mal bei einem Hundefondue zugegen. Ihr Freund langte kräftig zu, sie schimpfte ihn: »Es ist so grausam«, findet Guo. Ihr Freund, erinnert sie sich pikiert, habe den ganzen Topf leer gegessen. Er ist Franzose, der Freund.
Gegessen wird Hundefleisch traditionell vor allem im Grenzgebiet zu Korea und, natürlich, im südchinesischen Kanton. Es sei eine Frage der Kultur, finden Verteidiger der Praxis. »Ehrlich gesagt: Ich weiß nicht, wo der Unterschied sein soll zwischen einem Kälbchen und einem Bernhardiner«, bekannte mir gegenüber privat ein Schweizer Diplomat in Peking. »Ob die Schweiz sich jetzt zum internationalen Schützer der Bernhardiner ausruft, nur weil die genetisch dorther kommen, das müsste sie sich schon genau überlegen.« Bis heute hat sie es nicht getan.
Eine der Grundängste westlicher Chinabesucher scheint zu sein, es könne ihnen einer beim Mittagessen heimlich oderaus Versehen einen Happen Hund oder Schlange unterschieben. Hiermit sei Ihnen versichert, dass mir dies in all den Jahren noch nicht ein einziges Mal passiert ist – aus einem einfachen Grund: All die Dinge, die Ihnen so unheimlich erscheinen, gelten in China als Delikatessen und sind viel teurer als normales Schwein, Rind oder Hühnchen. Wenn es Sie nach Eulenbrust, Murmeltierpürzel oder Kamelhöcker verlangt, dann müssen Sie schon ausdrücklich danach fragen. Was nicht heißt, dass mancher chinesische Gastgeber nicht allerlei Überraschungen für Sie auffahren wird: weil Sie der Ehrengast sind, vielleicht aber auch, weil er sich einen Spaß daraus macht, Ihr Gesicht zu beobachten, wenn er Ihnen mit seinen Stäbchen eine sich noch windende Seidenraupe zwischen die Lippen schiebt. Aber sowohl Seidenraupe als auch die anderen Leckereien dieser Kategorie (Skorpion, Heuschrecke usw.) sind im Regelfall als Exotika erkenn- und bei Nichtgefallen mit etwas Höflichkeit folglich vermeidbar. Dazu genügt Ihrerseits ein bescheidenes bu xi guan , »Daran bin ich nicht gewöhnt«, die Satisfaktion hartnäckiger Tischherren können Sie sich alternativ mit einer wackeren Salve gan bei! erschleichen.
Im Urteil über Chinas Essensgebräuche sollten Europäer zweierlei nicht vergessen. Erstens: Ein Großteil der uns verdächtigen Gerichte hat seinen Ursprung in dem Jahrtausende währenden Kampf gegen den Hunger, der dieses Volk dazu zwang, restlos alles zu verwerten, was Kalorien liefert. Deshalb das Kauen auf Hühner- oder Entenfüßen, deshalb die beliebten Rindersehnen-, Schweineohr- oder Hirngerichte. (Im Übrigen kann man in altbayerischen und Allgäuer Gaststätten ähnliche Entdeckungen machen: An den gebackenen Kuheuter, der in meiner Heimat serviert wird, habe ich mich auch noch nie gewagt.) Zweitens gibt es auch innerhalb Chinas große Kulturgräben. Meist finden wir Europäer uns da in einem
Weitere Kostenlose Bücher