Gebrauchsanweisung für China (German Edition)
Chinesen dann überfällt. Im Mittelpunkt der Schlemmerei in der Silvesternacht steht in Peking und Nordchina eines der simpelsten und billigsten Gerichte überhaupt: die jiao zi , jene Vorfahren der italienischen Ravioli.
Das Lustige an den Frühlingsfest- jiao-zi ist, dass man die Köchin mit der Vorbereitung nicht allein lässt: Alle helfen mit. Meist trifft man sich am späten Nachmittag bei den Eltern oder dem ältesten Bruder. Man stellt die mitgebrachten Geschenke – Obst, Zigaretten oder teurer Reisschnaps aus Maotai – in die Ecke, schnappt sich einen Hocker und hilft beim bao jiao zi , beim jiao-zi -Machen. Dazu muss man ein kreisrundes Teigplättchen möglichst geschickt um einen Löffel voll Füllung quetschen. Man erzählt sich die neuesten Witze über den Staatspräsidenten und wetteifert in Geschicklichkeit: Idealerweise ähnelt das fertige jiao zi dem Halbmond am Himmel, Profis schaffen das lässigerweise allein dadurch, dass sie die Zutaten auf die Handfläche legen und die Hand dann – schnapp – zur Faust ballen. Anwesende Ausländer, die unter Aufbietung aller Konzentration amöbenähnliche Teigmonster abliefern, werden mit aufmunternden Worten bedacht und lösen schon bald den Präsidenten als Objekt der Späße ab. Essen müssen sie ihre kümmerlichen Kreaturen später selbst. Jiao zi gibt es in unzähligen Kreationen: mitRinderhack und Zwiebel, mit Schweinehack und Fenchel, mit Schnittlauch und Ei, mit Spinat, Pilzen, Shrimps usw. Zum Frühlingsfest findet meist die klassische Füllung Verwendung: gehacktes Schweinefleisch und Kohl, gewürzt mit Ingwer, Frühlingszwiebeln, Salz und Pfeffer.
Gegessen wird oft zweimal: Ein dutzendgängiges Bankett mit Fleisch, Fisch und Gemüse läutet den Abend ein. Um Punkt zwölf Uhr dann, nach den ersten Runden Mahjongg, nach gemeinsamem Lachen, Staunen und Lästern über die Silvestergala des Staatsfernsehens – der TV-Event des Jahres –, werden die Teigtaschen ins sprudelnde Wasser geworfen. In dieser Sekunde kreuzen sich altes und neues Jahr, dann macht der Affe dem Hahn Platz und ein Jahr später der Hahn dem Hund. Zunächst isst man ein paar kalte Vorspeisen – geröstete Erdnüsse, kalter Braten, angemachtes Schweineohr oder in Streifen geschnittene, eingelegte Qualle –, dann widmet man sich den dampfenden jiao zi , zu denen jeder sich nach eigenem Geschmack einen Dip mischt aus Essig, Sojasoße, Knoblauch und Chili.
Nach Mitternacht können sich die Glücklichen, die in den Vorstädten leben, aufmachen, um beim Neujahrsfeuerwerk mitzuzündeln. Innerhalb der vierten Ringstraße hat die Pekinger Stadtregierung nämlich jegliches Böllern streng verboten. Und das in der Hauptstadt der Nation, die den Spaß immerhin erfunden hat. Ich hielt das Verbot lange für eine typische Spielverderberei der Pekinger Bürokraten – bis mich eine Freundin eines schönen Silvesterabends zu sich einlud. Sie wohnt nahe beim Flughafen, und was wir nach dem jiao-zi -Essen auf einem verlassenen Bauplatz erlebten, hatte mehr Ähnlichkeit mit einem außer Kontrolle geratenen Manöver der Volksbefreiungsarmee als mit mir bekanntem Neujahrstreiben. Im Unterschied zu einfachen Soldaten waren die Leute auf dem Bauplatz freilich erstens schärfer bewaffnet und zweitens sturzbetrunken, auch standen sich nicht bloß zwei feindliche Parteien gegenüber, stattdessen wogte ein anarchistischesJeder gegen Jeden. Viel hab ich von der Schlacht nicht mitbekommen: Als eine knapp über dem Boden horizontal dahergeschossene Rakete mit kläglichem Heulen ausgerechnet in unserem als Munitionsdepot dienenden Umzugskarton verendete, da verkroch ich mich für den Rest des Tobens hinter einem am Rand geparkten Jeep. Dort fanden mich meine vom winternächtlichen Spiel rotwangigen, vor Ausgelassenheit lachenden chinesischen Freunde eine Stunde später: die Hände über den Ohren, die Augen fest geschlossen, den Körper zusammengekrümmt.
Als wäre ich einer jener Geister, die es zu vertreiben galt.
Der Peking-Fluch
Nein, keine Verwünschung aus düsteren Kaisergrüften, vielmehr Obszönitäten, frisch aus der Hauptstadt. Die Pekinger sind berühmt für ihre nicht stubenreinen Flüche, die Stadtregierung schämt sich dafür. Populärstes Exempel ist der Ausruf » Sha bi! «, der die Herabwürdigung des gegnerischen Intellekts verbindet mit einer Vulgärbeschreibung der weiblichen Unterleibsanatomie. Sha bi! ist ein enger Verwandter des Beifallschreis Niu bi! (dt.: geil,
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