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Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Titel: Gebrauchsanweisung für China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Strittmatter
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super, krass), welcher mit dem Unterleib des weiblichen Rindes vorliebnimmt. Sha bi! wie Niu bi! entfalten ihre ganze Kraft, wenn sie zehntausendfach durchs Fußballstadion hallen. Den Oberen ist’s ein Graus, und so müht sich das städtische → Amt für geistige Zivilisation ebenso redlich wie vergeblich an der Umerziehung der Bürger. »Sagt Nein zu Peking-Flüchen!«, leuchtet es mittlerweile vor Beginn eines jeden Fußballspiels von der Videoleinwand des Arbeiterstadions. » Sha bi!« , schallt die Antwort von den Rängen. »Verfolgt zivilisiert das Spiel!«, lautet der nächste Slogan. » SHA BI! SHA BI!« , brüllen freudig zehntausend Kehlen. Das Amt für g. Z . möchte die Fans überreden, in gemeinsamer Ersatzhandlung »fröhliche Lieder« zu singen. Die Fans verweigernsich kollektiv und lustvoll. Die Peking-Flüche sorgten während der Fußball-WM 2002 für einige Verlegenheit, als sie im »Fifa Football 2002«, dem offiziellen Computerspiel zur WM, auftauchten. Der amerikanische Hersteller verteidigte sich lapidar, man habe die Soundkulisse für jede Nation »vor Ort und live« eingefangen.

 

Qualität und Klasse.
Oder: Einwohnerveredelung
     
     
    Das chinesische Wort für »Staat«, guojia , heißt eigentlich »Staatsfamilie«. Es stehen hier auch an der Spitze des Staates Patriarchen (ein Kaiser, ein Politbüro), die für ihre Kinder (das Volk) zu sorgen haben. So unwahrscheinlich das klingen mag, aber als der Kommunismus nach China kam, konnte er auch deshalb triumphieren, weil er uralte chinesische Utopien aufzunehmen schien.
    Chinas Überlieferung weist dem Herrscher vor allem zwei Aufgaben zu. Das eine ist die leibliche Fürsorge für das Volk. Vielleicht waren die Kommunisten die erste Regierung in der chinesischen Geschichte, die den theoretischen Anspruch der alten Denker an den idealen Regenten einlöste: Ein jeder Chinese erhielt seine »eiserne Reisschüssel«. Nie schien China, für ein paar Jahre wenigstens, den alten Träumen vom »höchsten Frieden« ( tai ping ) und der »großen Gleichheit« ( da tong ) näher. Daher rührt die Sentimentalität, mit der heute nicht wenige einfache Chinesen an die Jahre unter Mao zurückdenken: »Zu Mao Zedongs Zeiten wohnten wir auf dreißig Quadratmetern, heute haben wir einhundert – trotzdem war es damals besser«, sagte mir ein Beamter der ProvinzNingxia. »Weil wir damals alle gleich viel hatten. Neben uns leben heute Kollegen von mir in 150-Quadratmeter-Wohnungen – soll ich das nicht ungerecht finden?« Der Beamte, ein freundlicher Mittfünfziger, stammte ursprünglich aus Peking – und war nur deshalb in der bitterarmen Wüstenprovinz Ningxia gestrandet, weil er als Jugendlicher unter Mao dorthin zwangsverschickt worden war. Die Gleichheit in Armut von damals wog in seinen Augen jedoch offenbar den Irrsinn und die Brutalität von Maos Politik mehr als auf.
    Noch heute spielt Chinas Regierung auf dieser Klaviatur – wenn sie westliche Kritiker bescheidet, erst einmal müsse sie alle Chinesen »warm und satt« kriegen, bevor an Menschenrechte zu denken sei. Die »Lösung des Warm-und-Satt-Problems« ( wen bao wen ti ) ist eine Standardfürbitte auf den Parteitagen der KP.
    Wenn der Untertan dann einmal satt ist, sehen sich Chinas Herrscher und die ihr zuarbeitende Elite berufen, ihn zu erziehen. Einst war China die Zivilisation, und die Zivilisation war China. Dies war das Reich der Mitte. Das Zentrum der zivilisierten Welt. Die Sonne, die Licht, Weisheit und Zivilisiertheit ausstrahlte ins bekannte Universum. Quell dieses Lichts war der Herrscher, der Himmelssohn: im konfuzianischen Ideal ein Ausbund an Tugend, dessen Charisma die Menschen von nah und fern anzog und seine Untertanen durch die Macht des rechten Vorbildes allein auf den rechten Weg führte. Der edle Mensch handelte korrekt und moralisch, war höflich und zivilisiert, nicht um wie in Europa einem Gott zu gefallen – sondern weil er dadurch der Familie und dem Staat, der Welt und dem Universum zur rechten Ordnung verhalf.
    Die Kaiser mahnten ihr Volk in zahlreichen Edikten zu kindlicher Pietät und Keuschheit und errichteten vorbildlichen Frauen, die sich beim Fall ihrer Stadt lieber entleibt hatten, als dem Feind in die Hände zu fallen, »Keuschheitstore«, die man noch heute besichtigen kann. So entstand derMythos vom höflichen Chinesen. Dann kamen die Kommunisten. Sie stürzten die alte Ordnung, verbrannten die alten Bücher, trieben die alten Gelehrten in den Tod und

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