Gebrauchsanweisung für China (German Edition)
Päckchen am Tag und wurde damit 92 Jahre alt – eine Tatsache, die nicht wenig beitrug zu der in China bis vor Kurzem populären Annahme, Rauchen sei der Gesundheit zuträglich (viele Jahre hieß Chinas erste Fußballliga nach ihrem Sponsor offiziell »Marlboro-Liga«). Rauchen ist in China auch sozialer Akt, in der Provinz wird einem nicht selten die Zigarette noch immer vor dem Handschlag angeboten. Mittlerweile informiert die Regierung ihr Volk über die Gefahren des Rauchens, was ihr nicht leichtfällt, da die Tabakindustrieeiner der größten Steuerzahler des Landes ist und viele Millionen Menschen beschäftigt. Die Stadt Peking plant nun ein Rauchverbot auch für Restaurants, Kneipen und Hotels. Die exklusiven »Kleinen Pandas« waren jahrzehntelang den Mitgliedern des Herrscherzirkels vorbehalten, erst nach dem Tod Dengs wurden sie auch gemeinen Chinesen käuflich zugänglich: das Päckchen zwischen 25 und 35 Yuan. Es gibt andere, für die zahlt man gerade mal einen Yuan fünfzig, einen schönen Namen haben sie alle. Eine Traditionsmarke ist etwa das »Rote doppelte Glück«, neuere Schöpfungen nennen sich »Shangri-la« oder »Viagra« (chin. Wei ge , wörtl.: »Mächtiger Bruder«).
Feiern. Oder: Der essbare Mond
Chinesen essen nicht nur Schwalbennest und Haifischflosse, sie essen auch den Mond. Zu dem haben sie ohnehin ein viel innigeres Verhältnis als wir Sonnenkinder: Obwohl China es uns seit dem Sturz des Kaiserhauses im Jahre 1911 offiziell gleichtut und seinen Kalender wie wir nach dem Sonnenjahr ausrichtet, spielt im Alltag der Chinesen der alte »Mond-« oder »Bauernkalender« noch eine große Rolle: Nach dem Mondkalender werden nicht nur die großen Feste wie Neujahr oder das Mitherbstfest gefeiert, viele traditionsbewusste Chinesen richten wie selbstverständlich auch persönliche Verrichtungen – Haarschnitt, Kreditaufnahme oder Eheschließung – an Segen verheißenden Tagen des Mondkalenders aus. In China schmäht der Staat solche Dinge offiziell noch immer als gefährlichen Aberglauben, auf Taiwan aber drucken die Zeitungen täglich Kolumnen, die ihren Lesern mitteilen, der Stand des Mondes mache den heutigen Tag ideal zum »Schuldeneintreiben und Hausbauen«, aber schlecht zum »Öfeninstallieren« (ich schlug in Taipei am Frühstückstisch auch schon die Zeitung auf, nur um zu lesen: »Es ist heute ein guter Tag für: nichts«). In den letzten Jahren erleben solche in bäuerlicherMondbeobachtung wurzelnden Bräuche auch bei uns eine Renaissance: Schon schneiden sich auch in Deutschland manche Leute wieder die Fingernägel in der einen und säen ihren Schnittlauch in der anderen Mondphase, aber so selbstverständlich wie den Chinesen ist uns die Macht des Mondes noch lange nicht.
Seit mehr als einem Jahrtausend schon backen die Chinesen ein Küchlein so rund und leuchtend wie der Mond in seiner feinsten Nacht; im traditionellen Kalender ist das die, die den fünfzehnten Tag des achten Monats beschließt. Tief im Herbst, wenn die Natur stirbt, was die alten Chinesen zum Anlass nahmen, auch ihre Hinrichtungen in diese Zeit zu legen. Das Feiern vergaßen sie darüber keineswegs. Am Abend jenes Tages, wenn der Mond am weitesten von der Erde entfernt ist, begeht China das Mondfest. Bei klarem Himmel versammeln sich die Leute in Parks und auf Terrassen. Kinder tragen Lampions, Erwachsene kramen nach mondlichtgetränkten Versen, und alle zusammen halten Ausschau nach dem zahlreichen Volk, mit dem die chinesische Mythologie den Mond besiedelt hat: Neben der Kröte wohnen da zum Beispiel noch ein Hase und natürlich Chinas Frau im Mond, eine Dame namens Chang E, die aus Versehen ihrem Gatten den Unsterblichkeitstrunk weggetrunken hatte und daraufhin durchs Fenster schwebte und auf den Erdtrabanten floh. Chang E ist zur Namensgeberin der ersten Mondsonde erkoren worden, die der Raumfahrtnation China bald neuen Ruhm bringen soll.
Die Chinesen besingen an diesem Abend den Mond am Firmament und verspeisen sein Ebenbild auf Erden. Schon von den Edelfräulein der Tang-Dynastie (618–907) wird berichtet, sie hätten sich das Lustwandeln unterm Vollmond mit Küchlein versüßt. Jeder Biss in einen der kaum handtellergroßen Kuchen ist eine Überraschung: Zwar wird man meist auf eine Füllung aus Zucker und Lotussamen oder Bohnenpaste stoßen, doch mittlerweile sind alle Zutaten erlaubt:Nüsse, Datteln oder Vanilleeis von Häagen-Dazs ebenso wie Kaffee, Schinken oder Speck. Mondkuchen
Weitere Kostenlose Bücher